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Der Striborwald

Ivana Brlić-Mažuranić

autor

zbirka

Aus Urvaterzeiten - Marchen aus kroatischer Urzeit

godina

1999.

jezik

njemački

jezik izvornika

hrvatski

medij

tiskani tekst

prevoditeljica

Camilla Luzerna

ilustrator

Vladimir Kirin

sken

ilustracije

priča

1.

 

          Begab sich da einmal ein Bursche in Stribors Wald und wußte nicht, daß dieser Wald verzaubert war und daß sich in ihm allerlei Wunder zutrugen. Glückswunder trugen sich in diesem Walde zu, aber auch Unglückswunder. Jedem wurde darin zuteil, was er verdiente.

          Stribors Wald mußte aber so lange verzaubert bleiben, bis ein Mensch ihn betrat, dem sein Unglück lieber war als alles Glück dieser Welt.

          Jener Bursche also hatte Holz gehackt und setzte sich auf einen Baumstamm, um auszuruhen, denn schön war der Wintertag, Aus dem Stamme jedoch wand sich vor ihm eine Schlange hin und begann ihn zu umschmeicheln. Das war aber gar keine richtige Schlange, es war eine sündige, ihrer Bosheit halber verwunschene Menschenseele, die nur von jenem erlöst werden konnte, der sie zu seiner Frau nahm.

          Die Schlange glitzerte in der Sonne wie Silber und sah dem Burschen geradeaus in die Augen.

          »Ein schönes Schlänglein, du mein Gott! Fast möcht' ich's nach Hause tragen«, scherzte der Bursche.

          »Da ist so ein Dummkopf, der mich zu seinem Unglück erlösen wird«, dachte die sündige Seele, die in der Schlange stak, und hurtig verwandelte sie sich aus der Schlangengestalt in eine Mädchenschönheit, die mit eins vor dem Burschen stand. Ihre weiten Ärmel, weiß und kunstvoll gestickt, sahen aus wie Schmetterlingsflügel, und Füßchen hatte sie wie eine Banin. Doch weil ihr Gedanke boshaft gewesen war, blieb in ihrem Munde die ...

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Der Striborwald

Ivana Brlić-Mažuranić

1.

 

          Begab sich da einmal ein Bursche in Stribors Wald und wußte nicht, daß dieser Wald verzaubert war und daß sich in ihm allerlei Wunder zutrugen. Glückswunder trugen sich in diesem Walde zu, aber auch Unglückswunder. Jedem wurde darin zuteil, was er verdiente.

          Stribors Wald mußte aber so lange verzaubert bleiben, bis ein Mensch ihn betrat, dem sein Unglück lieber war als alles Glück dieser Welt.

          Jener Bursche also hatte Holz gehackt und setzte sich auf einen Baumstamm, um auszuruhen, denn schön war der Wintertag, Aus dem Stamme jedoch wand sich vor ihm eine Schlange hin und begann ihn zu umschmeicheln. Das war aber gar keine richtige Schlange, es war eine sündige, ihrer Bosheit halber verwunschene Menschenseele, die nur von jenem erlöst werden konnte, der sie zu seiner Frau nahm.

          Die Schlange glitzerte in der Sonne wie Silber und sah dem Burschen geradeaus in die Augen.

          »Ein schönes Schlänglein, du mein Gott! Fast möcht' ich's nach Hause tragen«, scherzte der Bursche.

          »Da ist so ein Dummkopf, der mich zu seinem Unglück erlösen wird«, dachte die sündige Seele, die in der Schlange stak, und hurtig verwandelte sie sich aus der Schlangengestalt in eine Mädchenschönheit, die mit eins vor dem Burschen stand. Ihre weiten Ärmel, weiß und kunstvoll gestickt, sahen aus wie Schmetterlingsflügel, und Füßchen hatte sie wie eine Banin. Doch weil ihr Gedanke boshaft gewesen war, blieb in ihrem Munde die Schlangenzunge zurück.

          »Da bin ich. Führe mich heim und nimm mich zur Frau!« sagte das Schlangenmädchen zum Burschen.

          Wäre das nun ein entschlossener, findiger Bursche gewesen und hätte er schleunigst das Öhr seiner Axt gegen sie geschwungen, ihr zugerufen: »Nicht ich bin's, der ein Waldwunder heimzuführen gedenkt!« — so wäre das Mädchen wieder zur Schlange geworden, mir nichts, dir nichts in den Baumstamm zurückgeschlüpft, und damit gut.

          Nun war das aber ein töricht fügsamer Junge, ein wenig scheu und schämig, und so schämte er sich, ihren Wunsch nicht zu erfüllen, da sie sich ja doch seinetwegen verwandelt hatte. Auch gefiel sie ihm sehr, denn sie war schön von Gestalt, und er, unerfahren, konnte doch gar nicht wissen, was ihr im Munde zurückgeblieben war.

          Er nahm die Maid bei der Hand und führte sie heim. Der Bursche lebte aber mit seiner alten Mutter, und diese ehrte er wie ein Heiligenbild.

          »Hier, Mütterchen, deine Schnur«, sagte der Bursche, als er mit dem Mädchen nach Hause kam.

          »Gottlob, Söhnchen«, gab die Mutter zurück, sobald sie die Mädchenschönheit erblickte.

          Doch die Mutter war alt und weise, darum erkannte sie gleich, was die Sohnsfrau im Munde trug.

          Kaum hatte sich diese entfernt, um sich umzukleiden, da sprach die Mutter zum Sohne:

          »Ein schönes junges Weib hast du dir ausgesucht, gib aber acht, ob es nicht eine Schlange ist.«

          Vor Staunen wurde der Sohn fast zu Stein. Woher wußte die Mutter, daß es eine Schlange war? Zorn befiel sein Herz und er dachte: Meine Mutter muß eine Hexe sein! Und alsogleich fing er an, seine Mutter zu hassen.

          Die drei begannen nun miteinander zu leben, aber das ließ sich schlimm an. Argzüngig war des Sohnes Frau, gehässig, gefräßig und gäh.

          Es gab dort eine Felswand, die bis in die Wolken reichte, und eines Tages befahl die Sohnsfrau der Alten, ihr Schnee von dem Gipfel der Felswand zu bringen, sie wolle sich damit waschen.

          »Es gibt keinen Weg zu jener Höh«, sagte die Mutter.

          »Nimm eine Ziege, die führt dich. Wo die hinaufkann, dort kommst du kopfabwärts herunter«, versetzte die Frau.

          Diese Worte hörte der Sohn und er lachte dazu, und das nur, um seiner Frau zu gefallen.

          Das betrübte die Mutter so sehr, daß sie unverweilt um den Schnee die Wand zu ersteigen begann, denn es tat ihr nicht leid um ihr Leben. Unterwegs wollte sie Gottes Hilfe anrufen, doch sie besann sich: »Könnte Gott da nicht merken, daß mein Söhnchen nicht taugt?«

          Aber Gott stand ihr dennoch bei und sie brachte glücklich der Sohnsfrau Schnee von jener Felswand, die in die Wolken reichte.

          Am andern Morgen befahl die Sohnsfrau der Alten:

          »Geh hin zum gefrorenen See, in der Mitte hat man ein Loch durchgebrochen. Fange mir dort einen Karpfen zum Mittagsmahl.«

          »Das Eis wird unter mir bersten, ich werde versinken«, wandte die Alte ein.

          »Das wird den Karpfen freuen, wenn du mit ihm versinkst«, sagte die Sohnsfrau. Und wieder lachte der Sohn, und die Alte wurde so traurig, daß sie unverweilt an den See ging. Das Eis das Sees kracht unter ihr und die Alte weint, daß die Tränen ihr am Gesichte gefrieren. Noch aber betet sie nicht zu Gott, hält ihres Sohnes Sünde vor Gott geheim.

          »Es ist besser, ich gehe zugrunde«, denkt die Alte und schreitet über das Eis.

          Doch die Zeit, wo die Alte sterben soll, ist noch nicht gekommen. Darum fliegt eine Möwe über sie hin, die einen Fisch trägt. Der Fisch entgleitet der Möwe, fällt knapp vor der Alten herab. Die Alte ergreift ihn und bringt ihn glücklich der Sohnsfrau.

          Am dritten Tage setzte die Alte sich an den Herd und nahm des Sohnes Hemd, um es auszubessern. Als das die Sohnsfrau sah, sprang sie heran, entriß ihr das Hemd und schrie:

          »Hand davon, alte Blinde, damit hast du nichts zu tun!« Und erlaubte der Mutter nicht, des Sohnes Hemd auszubessern.

          Jetzt tat der Alten das Herz schon allzuweh. Sie trat aus dem Hause, setzte sich — es war grimmig kalt — auf die Bank davor und rief Gott an: »Mein Gott«, sagte sie, »hilf mir!«

          Da sah sie ein armes Mägdlein, nur in zerrissenes Linnen gekleidet, das auf sie zukam. Die Schulter des Kindes war blau vor Kälte, denn dort war der Armel herausgerissen; trotzdem lachte es, denn es war sanften Geblüts. Unter dem Arme trug es ein Bündelchen Späne.

          »Wollt Ihr Kienspäne kaufen, Mutter, zum Unterzünden?« fragte das Mägdlein.

          »Ich habe kein Geld, Töchterchen, doch wenn du willst, so flicke ich dir dein Armelchen«, versetzte die traurige Alte, die immer noch Nadel und Faden fürs Hemd des Sohnes in ihrer Hand hielt.

          So flickte die Alte des Mägdleins Armel aus und das Mägdlein gab ihr ein Bündel Kienspäne, sagte von Herzen Dank und eilte von dannen, vergnügt darüber, daß es an der Schulter nicht fror.

 

2.

 

          Am Abend sagte die Sohnsfrau zur Alten:

          »Wir gehen fort, laden uns bei der Patin zu Gaste. Du aber sieh zu, daß ich das Wasser heiß finde bei meiner Rückkunft.«

          Die Sohnsfrau war begehrlicher Natur und stets darauf aus, sich irgendwo bewirten zu lassen.

          Als jene fort waren, blieb die Alte allein. Sie griff nach den Kienspänen, die ihr das Mägdlein gegeben hatte, machte Feuer am Herd und ging in die Kammer um Holz.

          Während sie in der Kammer nach Holzstücken suchte, vernahm sie in der Küche einKnacken und Krachen: Kuz! Kuz!

          »Wer da? Sind es Gotteskinder?« fragte sie aus der Kammer.

          »Hausgeistchen! Hausgeistchen!« antworteten aus der Küche einige feine Stimmchen, als zwitscherten Sperlinge unter dem Dachvorsprung.

          Die Alte nahm dies wunder, war es doch nachtschlafende Zeit, und sie ging in die Küche zurück. Dort aber hatten die Kienspäne eben aufzuflackern begonnen und um die Flammen tanzten die Hausgeistchen ihren Reigen; lauter kleine Männlein waren es, kaum eine Spanne hoch. Hatten Schafpelzchen an, Käppchen und kleine, feuerrote Opanken, Haare und Bart waren aschgrau und ihre Äuglein glühten wie brennende Kohlen.

          Und aus den Flammen kommen ihrer immer neue hervor, jeder Kienspan gibt einen. Kaum herausgehüpft, lachen und kreischen sie, purzeln am Herd herum, jubilieren vor Lust und reihen sich ein in den Reigen.

          Und es dreht sich der Reigen, schlingt sich über Asche und Herd, über Gestell und Gestühl, über Töpfe und Näpfe. Dreh dich! Dreh dich! Schnell und schneller! Sie gaukeln und puffen einander, juchheien und schreien, Salz und Sauerteig werden verstreut und verspritzt, das Mehl, aus lauter Freude, zerstäubt und zerblasen.

          Am Herde flammt und leuchtet das Feuer, knistert und wärmt, und die Alte schaut und schaut. Nicht um Salz noch um Sauerteig tut es ihr leid, sie freut sich vielmehr des lustigen Spieles, das Gott zu ihrem Troste gesendet hat.

          Der Alten will es scheinen, als sei sie verjüngt. Sie lacht aufwie ein Turteltäubchen, hüpft wie ein Dirnlein, reiht sich dem Reigen der Hausgeistchen ein und tanzt mit. Aber doch ist Kummer in ihrem Herzen zurückgeblieben und der ist so schwer, daß der Reigen zum Stillstand kommt.

          »Gottesbrüderchen«, sagt die Alte da zu den Hausgeistchen, »könntet ihr mir dazu verhelfen, daß ich die Zunge der Sohnsfrau erblicke? Sage ich ihm, was ich mit eigenen Augen gesehen, vielleicht kommt er dann zur Vernunft?«

          Die Alte erzählte nun den Hausgeistchen alles, was sich begeben hatte. Die Hausgeistchen setzten sich rund um den Herdrand herum, ließen die Beinchen an diesem herabhängen, hörten, wie Klette an Klette aneinandergereiht, der Alten zu und schüttelten ihre Köpfe vor Staunen. Schüttelten sie die Köpfe, so glühten dabei die roten Käppchen auf: man konnte meinen, das Feuer am Herde sei es, das Flämmchen sprühe.

          Als die Alte ihre Erzählung beendet hatte, rief eines der Hausgeistchen, Klein—Tintilinchen genannt:

          »Ich werde dir helfen. Ich geh' ins Sonnenland und hole dir Elsterneier. Wir legen sie der Bruthenne unter, und kriechen die Elsterchen aus, so wird die Sohnsfrau sich täuschen lassen; wie jede Waldschlange, wird es auch sie nach Elsterchen gelüsten — dann streckt sie die Zunge heraus.«

          Alle Hausgeistchen juchheiten vor Freude darüber, daß Klein—Tintilinchen solch einen Einfall gehabt. Doch eben, als sie am allerschönsten juchheiten, kehrte die Sohnsfrau zurück und trug einen Gastkuchen für sich nach Hause.

          Zornig stieß sie die Türe auf, um gleich zu sehen, wer in der Küche juchheite. Doch wie sich der Türflügel auftat: schwupp! — schlug die Flamme auf, stießen die Heinzelchen sich alle zugleich mit den Füßen vom Herde ab, schwuppten in die Höhe, fuhren die Flamme hinauf gegen das Dach. Die Dachschindeln knatterten und die Hausgeistchen waren verschwunden.

          Nur Klein—Tintilinchen machte sich nicht davon, sondern versteckte sich in der Asche.

          Als die Flamme so unerwartet emporfuhr und die Tür gegen die Wand schlug, erschrak die Sohnsfrau und kam vor Schreck wie ein Sack auf die Erde zu sitzen. Der Kuchen zerbröckelte in ihrer Hand, ihr Haar, dem die Kämme entflogen, fiel auseinander, sie riß die Augen auf und schrie erbost:

          »Was war das, altes Unglück du?«

          »Der Wind hat die Flamme emporgetrieben, als du die Tür aufstießest«, sagte die Alte und stellte sich unwissend.

          »Und was ist das dort in der Asche?« fuhr die Sohnsfrau fort, denn aus der Asche guckte die rote Ferse von Klein—Tintilinchens winzigem Bundschuh hervor.

          »Das ist eine glimmende Kohle«, sagte die Alte.

          Doch die Sohnsfrau glaubt es nicht, und so, mit zerzaustem Haar, geht sie zum Herd, um aus der Nähe zu sehen, was es dort gebe. Wie sie das Gesicht über die Asche neigt, schnellt Klein—Tintilinchen das Füßchen heraus und versetzt ihr mit der Ferse eins über die Nase. Die Sohnsfrau zetert wie jemand, der im Meere ertrinkt, ist ganz geschwärzt im Gesicht und ihr zerzaustes Haar ist mit Asche bestreut.

          »Was ist das, altes Unglück du?« zischt die Frau.

          »Eine Kastanie ist in der Glut zerplatzt«, erwidert die Alte; in der Asche aber zerplatzt Klein—Tintilinchen beinahe vor Lachen.

          Kaum ist die Sohnsfrau fort, um sich zu waschen, so zeigt die Alte Klein—Tintilinchen den Platz, wo jene in der Kammer eine Bruthenne angesetzt hat, damit es kleine Hühnchen zu Weihnachten gäbe. Noch in derselben Nacht brachte der Kleine Elsterneier und legte sie statt der Hühnereier der Bruthenne unter.

 

3.

 

          Die Sohnsfrau hatte der Alten befohlen, auf die Henne zu achten und es ihr zu melden, sobald die Küchlein auskröchen. Die Sohnsfrau wird das ganze Dorf dazu laden, damit man sehe, daß sie zur Weihnachtszeit Hühnchen habe, wo es nirgends sonst welche gab.

          Die Zeit rückte heran, die Elsterchen krochen aus. Die Alte meldet der Sohnsfrau: »Die Hühnchen sind da«, und die ruft das Dorf zusammen. Gevatterinnen und Nachbarn, groß und klein, alles eilte herbei, auch der Alten Sohn war zugegen.

          Die Sohnsfrau befahl der Alten, das Nest in den Vorraum zu tragen.

          Die Alte brachte das Nest, man hob die Henne ab, aus dem Neste scholl ein Gekreisch, nackte Elsterchen hüpften heraus und hopp! hopp! ging es über den Vorplatz.

          Als die Schlangenfrau so unverhofft Elsterchen um sich erblickte, ließ sie sich täuschen, das Natterngelüst in ihr brach hervor; sie fuhr über den Vorraum hinter den Elsterchen her und streckte nach ihnen, als wär's im Walde, ihre dünne und spitzige Zunge aus.

          Gevatterinnen und Nachbarn schrien auf, bekreuzigten sich und führten ihre Kinder nach Hause, denn sie wußten nun, daß die Frau eine Waldschlange war.

          Die Mutter indessen trat frohgemut an den Sohn heran.

          »Schaffe sie, Sohn, dahin, woher du sie brachtest. Nun hast du mit eigenen Augen gesehen, wen du im Hause nährst.« Und die Mutter wollte den Sohn in die Arme schließen.

          Aber der Sohn war wirklich ein durch und durch törichter Bursche; er verhärtete sich nur noch mehr, dem Dorf, der Mutter, den eigenen Augen zum Trotz. Nicht die Schlangenfrau will er richten, sondern er herrscht noch die Mutter an:

          »Woher nahmst du Elsterchen um diese Jahreszeit, du alte Hexe? Fort mit dir, aus dem Hause!«

          Eh —jetzt sah die Mutter ein, hier gab's keine Hilfe. Sie hob ein Klagen an wie über ein Hungerjahr und bat nur, sie wenigstens nicht bei hellichtem Tag aus dem Hause zu jagen, damit das Dorf nicht erfahre, welch einen Sohn sie genährt und aufgezogen hatte. Der Sohn gab es zu, daß die Mutter noch bis zum Abend im Hause bleibe.

          Als es Abend ward, steckte die Alte etwas Brot in den Wandersack und einige von jenen Kienspänen, die ihr das arme Mägdlein gegeben hatte. Und dann verließ sie wehklagend des Sohnes Haus.

          Kaum war die Mutter über die Schwelle getreten, so erlosch das Feuer am Herd, so fiel das Kreuz von der Wand. Der Sohn und seine Frau blieben allein in der Stube, die nun ganz dunkel war. — Und jetzt fühlte der Sohn, wie schwer er sich an der Mutter versündigt hatte, und es reute ihn bitterlich.

          Doch durfte er seiner Frau nichts merken låssen, denn er war furchtsam, und so sagte er nun:

          »Laß uns der Mutter nachgehen, damit wir sehen, wie sie vor Kälte umkommen wird.«

          Schadenfroh sprang die Frau auf und holte die Schafpelze für sich und den Mann herbei; sie hüllten sich darein und folgten der Alten von weitem.

          Über die Felder, durch den Schnee, durch die Nacht schritt die Alte traurig dahin. Als sie auf ein weites Stoppelfeld geraten war, setzte die Kälte ihr so arg zu, daß sie nicht weiterkonnte. Darum zog sie aus ihrem Wandersack jene Kienspäne hervor, zerteilte den Schnee und machte ein Feuerchen an, um sich ein wenig zu wärmen.

          Kaum flammten die Späne auf, da, o Wunder! kamen aus ihnen die Hausgeistchen hervor, gerade als säße sie noch am heimischen Herd. Sie sprangen aus dem Feuer ringsum in den Schnee und hinter ihnen sprühten Funken nach allen Seiten in das Dunkel der Nacht.

          Das ist der Alten lieb, so lieb, von ihnen am Weg nicht verlassen zu sein, daß ihr das Weinen kommt. Jene aber sammeln sich um sie, lachen und pfeifen.

          »Gottesbrüderchen«, sagt die Alte, »nicht um Freude ist's mir zu tun. Helft mir lieber im Unglück!«

          Die Alte erzählte den Hausgeistchen, wie ihr törichter Sohn noch aufgebrachter gegen sie geworden sei, seit er und das Dorf sich überzeugt hatten, daß die Sohnsfrau wirklich eine Schlangenzunge im Munde trug.

          »Er hat mich fortgejagt, ihr aber, helft, wenn ihr könnt!«

          Die Hausgeistchen schwiegen ein Weilchen, stapften ein wenig im Schnee mit den Opanken herum und wußten ihr keinen Rat.

          Dann aber sagte Klein—Tintilinchen:

          »Laßt uns zu Stribor, unserem Altvater, gehen. Er weiß für alle Rat.«

          Unverweilt klomm der Kleine auf einen Schlehdornstrauch, pfiff durch die Finger, und sogleich kamen aus der Dunkelheit ein Hirsch und zwölf Eichhörnchen auf sie zugesprengt.

          Die Hausgeistchen setzten die Alte nun auf den Hirsch, bestiegen die Eichhörnchen, und fort ging es gegen den Striborwald.

          So reiten sie denn durch die Nacht. — Auf jedem Sproß des Hirschgeweihes sitzt ein Sternchen. So leuchtet der Hirsch, zeigt den Weg und die zwölf Eichhörnchen jagen hinter ihm her. Blank sind ihre Augen und blinken wie Edelsteine. Sie jagen und jagen und hinter ihnen rennen der Sohn und seine Frau, daß es beiden schier den Atem verschlägt. So gelangen sie bis zum Striborwald und der Hirsch trägt die Alte hinein.

          Zwar erkennt die Sohnsfrau, obschon es dunkel ist. Stribors Wald, in den sie schon einmal, sündenhalber verwunschen, gebannt worden war; doch so groß ist ihre Bosheit, daß sie sich ihrer neuen Sünden gar nicht erinnern kann und sich ihrethalben nicht fürchtet, sich vielmehr darüber freut: »Zugrunde gehen«, sagt sie, »wird die unwissende Alte inmitten so vieler Zauber in diesem Walde «. — Und schneller und immer schneller eilt sie dem Hirsche nach.

          Der Hirsch trug also die Alte zu Stribor hin. Stribor, das war der Waldherr, der Waldesalte. Inmitten des Waldes saß er in einer so großen Eiche, daß es in ihr sieben goldene Gehöfte gab und ein Dorf, das von einem silbernen Zaune umzäunt war. Vor dem schönsten Gehöft saß Stribor in rotem Mantel auf einem Stuhle.

          »Hilf der Alten! Die Sohnsfrau, die eine Schlange ist, hat sie zugrunde gerichtet«, baten die Hausgeistchen Stribor, nachdem sie sich samt der Alten vor ihm verneigt hatten. Und sie berichteten alles, was vorgefallen war. Doch die Frau und der Sohn waren an die Eiche herangeschlichen und durch ein Löchlein im Stamme lugten und lauschten sie, neugierig, zu sehen, was sich ereignen würde.

          Als die Hausgeistchen ihre Erzählung beendet hatten, sagte Stribor zur Alten:

          »Alte, fürchte dich nicht! Laß die Sohnsfrau in Bosheit leben, bis die Bosheit sie wieder hieherführt, wo sie vor der Zeit befreit wurde. Dir kann ich leicht helfen. Sieh nach jenem Dorfe hin, das von Silber umzäunt ist!«

          Die Alte sah hin und erkannte ihr Heimatdorf, in dem sie jung gewesen war, und im Dorfe gab's Kirchweih und Lustbarkeiten. Da wurden Glocken geläutet und Geigen schwirrten, da wehten Fahnen, da tönte jauchzender Gang.

          »Tritt durch die Umzäunung, klatsche in die Hände, und sogleich wirst du verjüngt sein. Du wirst in deinem Dorfe bleiben, dich wieder, jung wie vor fünfzig Jahren, des Lebens freuen«, sagte Stribor.

          Froh wie noch nie, eilte die Alte gleich auf den Zaun zu und legte schon die Hand an das silberne Türchen, doch da fiel ihr noch etwas ein und sie wendete sich zu Stribor:

          »Was aber wird aus meinem Sohn?«

          »Keine Dummheiten, Alte«, entgegnete Stribor. »Wie könntest du von deinem Sohn etwas wissen? Er bleibt in seiner Zeit, du kehrst in deine Jugend zurück. Von irgendeinem Sohne wirst du nichts wissen.«

          Als die Alte das hörte, verfiel sie in schweres Sinnen. Dann kehrte sie langsam von jener Umzäunung zurück, trat vor Stribor, verbeugte sich tief und sagte:

          »Ich danke dir, lieber Herr, für alles Gute, das du mir geben willst. Aber ich will lieber in meinem Unglück bleiben und wissen, daß ich einen Sohn habe, als wenn du mir alle Schätze und alles Glück dieser Erde gäbest und ich müßte den Sohn vergessen.«

          Kaum hatte die Alte das ausgesprochen, so durchhallte ein furchtbares Tosen den ganzen Forst, die Zauber des Striborwaldes waren gebrochen, denn der Alten war ihr Unglück lieber gewesen als alles Glück dieser Welt. Der ganze Wald begann zu wanken, die Erde tat sich auf, die ungeheure Eiche versank darin mit allen Gehöften und mit dem Dorfe, das ein silberner Zaun umzäunte, auch Stribor und die Hausgeistchen waren verschwunden — die Sohnsfrau hinter der Eiche schrie auf, verwandelte sich in eine Schlange, entfloh in ein Loch — und Mutter und Sohn standen inmitten des Waldes allein beieinander.

          Da sank der Sohn vor der Mutter ins Knie, küßte den Saum ihres Kleides und ihrer Armel, und dann hob er sie auf und trug sie auf seinen Armen in Haus zurück, wohin sie glücklich bei Tagesanbruch gelangten.

          Der Sohn bat Gott und die Mutter, ihm zu verzeihen. Gott verzieh ihm — die Mutter aber? Die Mutter hatte ihm nicht einmal etwas verargt!

          Der Bursche nahm späterhin jenes arme und liebe Mägdlein zur Frau, das ihnen die Hausgeistchen ins Heim gebracht hatte.

          Und noch heute leben sie glücklich alle beisammen und an Winterabenden kommt Klein—Tintilinchen gerne an ihren Herd.