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Fischer Palunko und seine Frau

Ivana Brlić-Mažuranić

autor

zbirka

Aus Urvaterzeiten - Marchen aus kroatischer Urzeit

godina

1999.

jezik

njemački

jezik izvornika

hrvatski

medij

tiskani tekst

prevoditeljica

Camilla Luzerna

ilustrator

Vladimir Kirin

sken

ilustracije

priča

1.

 

          Fischer Palunko war seines elenden Lebens überdrüssig geworden. Lebte er doch allein am öden Meeresstrand und fing Tag um Tag Fische mit einer beinernen Angel, denn Netze kannte man in jener Gegend noch nicht. Und was vermag einer wohl mit solch einer Angel zu fangen?

          »Was führst du doch für ein elendes Leben!« sprach Palunko zu sich selbst. »Was du Fängst unter Tag, verzehrst du zu Abend — es gibt keine Freude für dich auf dieser Welt.«

          Palunko hatte nämlich allerlei von üppigen Großen und reichen Gewalthabern reden gehört, so in Saus und Braus, in Gold und Überfluß auf der Welt lebten. Und da hatte Palunko es sich in den Kopf gesetzt, auch einmal etwas von solchen Herrlichkteiten zu sehen und in Reichtum zu leben. Darum tat er das Gelübde, drei Tage lang auf hohem Meer in seinem Kahne zu sitzen, ohne auch nur einen einzigen Fisch zu fangen; vielleicht, dachte er, würde ihm solch ein Gelöbnis helfen.

          Drei Tage und drei Nächte sitzt also Palunko in seinem Kahne auf hohem Meer, drei Tage sitzt, drei Tage fastet er, drei Tage Ringt er auch nicht einen einzigen Fisch. Bei Anbruch des vierten Tages aber hebt sich aus dem Meeresgrunde ein silberner Nachen empor, von Gold sind seine Ruder und im Nachen steht gleich einer leuchtenden Königsjungfrau die lichte Maid Morgenröte.

          »Drei Tage hast du meiner Fischlein Leben behütet, sage nun, was ich dir Gutes erweisen ...

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Fischer Palunko und seine Frau

Ivana Brlić-Mažuranić

1.

 

          Fischer Palunko war seines elenden Lebens überdrüssig geworden. Lebte er doch allein am öden Meeresstrand und fing Tag um Tag Fische mit einer beinernen Angel, denn Netze kannte man in jener Gegend noch nicht. Und was vermag einer wohl mit solch einer Angel zu fangen?

          »Was führst du doch für ein elendes Leben!« sprach Palunko zu sich selbst. »Was du Fängst unter Tag, verzehrst du zu Abend — es gibt keine Freude für dich auf dieser Welt.«

          Palunko hatte nämlich allerlei von üppigen Großen und reichen Gewalthabern reden gehört, so in Saus und Braus, in Gold und Überfluß auf der Welt lebten. Und da hatte Palunko es sich in den Kopf gesetzt, auch einmal etwas von solchen Herrlichkteiten zu sehen und in Reichtum zu leben. Darum tat er das Gelübde, drei Tage lang auf hohem Meer in seinem Kahne zu sitzen, ohne auch nur einen einzigen Fisch zu fangen; vielleicht, dachte er, würde ihm solch ein Gelöbnis helfen.

          Drei Tage und drei Nächte sitzt also Palunko in seinem Kahne auf hohem Meer, drei Tage sitzt, drei Tage fastet er, drei Tage Ringt er auch nicht einen einzigen Fisch. Bei Anbruch des vierten Tages aber hebt sich aus dem Meeresgrunde ein silberner Nachen empor, von Gold sind seine Ruder und im Nachen steht gleich einer leuchtenden Königsjungfrau die lichte Maid Morgenröte.

          »Drei Tage hast du meiner Fischlein Leben behütet, sage nun, was ich dir Gutes erweisen, soll«, sprach die Maid Morgenröte.

          »Hilf mir aus diesem Elend und öden Leben. Tagaus, tagein treibe ich mich an diesem wüsten Ufer herum. Was ich über Tag fange, verzehr' ich zu Abend und es gibt keine Freude für mich auf dieser Welt«, sagte Palunko.

          »Geh heim, du findest dort, was dir not tut«, verhieß ihm die Maid Morgenröte. Sprach's und versank mit ihrem silbernen Nachen ins Meer.

          Palunko hat es eilig, ans Ufer und zu seinem Hause zu kommen. Kaum ist er dort, da tritt ihm ein armes Mädchen entgegen, das vom weiten Weg jenseits der Berge her ganz von Kräften ist. »Nun mir die Mutter gestorben, hab' ich niemanden mehr auf der Welt«, klagt das Mädchen, »nimm mich zum Weibe, Palunko.«

          Jetzt weiß Palunko nicht, was er tun soll. »Ist dies — o ich Jammermann! — etwa das Glück, das mir die Maid Morgenröte zuschickt?« Palunko sieht eine Waise vor sich, arm und elend wie er, dennoch fürchtet er sich, unrecht zu tun und sein Glück zu verscherzen. Er willigt also ein, nimmt das arme Mädchen zum Weibe. Und dieses, müde wie es ist, legt sich hin und schläft fest und tief bis in den anderen Morgen.

          Kaum konnte Palunko den andern Morgen erwarten, um zu sehen, was für ein Glück sich jetzt einstellen würde. Aber am andern Morgen stellte sich nichts ein, nur daß, als Palunko die Angel nahm und auf Fischfang auszog, sein Weib ins Gebirge ging, um wilde Melde zu sammeln. Als es Abend ward, kehrte Palunko zurück, kehrte die Frau zurück und sie aßen zum Fisch ein wenig gesottene Melde zu Abend. »Eh, ist das das ganze Glück? Das hätte mir wegbleiben können!« dachte Palunko.

          Nach der Abendmahlzeit setzte sich die Frau zu Palunko und erzählte Geschichten, um ihm die Zeit zu kürzen. Erzählte von reichen Großen und Kaiserhöfen, von Drachen, die Schätze hüten, und von der Königstochter, die Perlen im Garten sät und Diamanten erntet. Palunko hört zu und sein Herz hüpft vor Freude. Palunko hat all sein Elend vergessen — drei Jahre säße er so und hörte zu, wenn sie Geschichten erzählt. Aber größer wird seine Freude noch bei dem Gedanken: »Diese Frau ist ein Wilenwesen, sie wird mir den Weg zum Schatze des Drachen weisen oder zum Garten der Königsmaid. Es braucht nur ein wenig Geduld, damit sie nicht unwillig wird.«

          Also wartet Palunko — Tage kommen, Tage vergehen, schon ist ein Jahr, schon sind zwei Jahre um. Schon ist ihnen auch ein Söhnchen geboren — sie haben es Klein Vlatko genannt. Aber sonst ist alles beim alten geblieben. Palunko fischt, die Frau müht sich tagsüber im Berg auf der Suche nach wilder Melde ab, bereitet am Abend das Abendmahl und nach der Mahlzeit schläfert sie ihren Kleinen ein und erzählt Palunko Geschichten. Immer schöner erzählt sie und immer schwerer wartet Palunko; bis ihm eines Abends doch die Geduld ausgeht, und da die Frau eben des langen und breiten vom unermeßlichen Reichtum und Prachtaufwand des Meerkönigs erzählt, springt Palunko ergrimmt in die Höhe, packt die Frau bei der Hand und ruft:

          »Jetzt hat das Zaudern ein Ende. Morgen, sobald es tagt, führst du mich in des Meerkönigs Hallen.«

          Wie Palunko so in die Höhe springt, erschrickt die Frau. Sie wisse nicht, wo die Hallen des Meerkönigs lägen, sagt sie ihm, aber Palunko ergrimmt, er prügelt die Frau und droht ihr: »Ich bringe dich um, wenn du mir dein Wilengeheimnis nicht preisgibst.«

          Da erkennt die Frau, daß Palunko sie für eine Wila gehalten hat und bricht in Tränen aus.

          »Ich bin keine Wila«, schluchzt sie, »du Armster, sondern ein armes Weib, das sich nicht auf Zaubereien versteht. Und was ich dir erzähle, hat mir has Herz gesagt, damit ich dir auf solche Weise die Zeit vertreibe.«

          Daß er sich zwei Jahre lang betrogen hatte, darüber geriet Palunko in nur noch größeren Zorn, und erbost, wie er war, befahl er seinem Weibe, morgen vor Tagesanbruch mit dem Kinde längs der Meeresküste nach rechts zu gehen, er, Palunko, wird sich zur Linken halten — und keines kehre zurück, eh es den Weg zum Meerkönig gefunden habe.

          Als es zu tagen begann, weinte die arme Frau und bat Palunko, sich nicht von ihr zu trennen. »Wer weiß, wo und wie eines von uns an diesem steinigen Ufer verunglücken wird«, sagte sie. Doch wieder fiel Palunko über sie her, und so nahm sie denn ihr Kind und schlug weinend die Richtung ein, die der Mann ihr gewiesen hatte. Palunko aber nahm den entgegengesetzten Weg.

          So wanderte denn die Frau mit dem Kinde, dem kleinen Vlatko, sieben Tage lang und abermals sieben. Nirgends fand sie einen Weg, der zum Meerkönig führte. Schon war die Arme allzu müde geworden und eines Tages schlief sie auf einem Felsen neben dem Meere ein. Als sie erwachte, war Klein Vlatko, ihr Kindlein, verschwunden.

          Vor Schreck erstarrte das Blut in ihrem Herzen und so groß war ihr Leid, daß ihr das Wort in der Kehle stockte und sie die Sprache verlor.

          Die Stumme wanderte nun längs der Meeresküste zurück und gelangte nach Hause. Tags darauf kam auch Palunko. Er hatte den Weg zum nicht gefunden. Grollend und bitterböse kehrte er heim.

          Aber Vlatko, das Kind, war nicht da, als er das und die Frau, schier gebrochen vor Herzeleid, konnte nicht sagen, was sich ereignet denn sie hatte die Sprache verloren.

          So ging es seit jenem Tage bei ihnen zu: Die Frau weinte nicht, klagte nicht, besorgte nur stumm das Haus, bediente Palunko. Und das Haus? Öde und still wie ein Grab. Eine Zeitlang ertrug Palunko dieses traurige Leben, aber dann ward es ihm ganz unleidlich. Da er am stärksten auf Meerkönigs Herrlichkeiten gehofft, war über ihn dieses Elend und Unheil gekommen.

          So rafft sich denn Palunko eines Morgens auf und fährt aufs Meer hinaus. Drei Tage sitzt er auf dem Meere, drei Tage fastet er, drei Tage fängt er auch nicht einen einzigen Fisch. Am vierten Tage erscheint ihm die Maid Morgenröte.

          Palunko klagt ihr, was sich ereignet hatte.

          »Arger als alles vorher ist dieses Leid. Das Kind verschwunden, die Frau ohne Sprache, das Haus verödet. Schier zersprengt mir der Jammer die Brust.«

          Nichts erwidert hierauf die Maid Morgenröte. Sie fragt nur:

          »Was ist dein Wunsch? Noch einmal will ich dir helfen.«

          Doch Palunko, der Tor, denkt nur an das eine, was er sich in den Kopf gesetzt hat. An Meerkönigs Reichtümern will er sich sattsehen können, sie mitgenießen, und so verlangt er nicht, daß ihm sein Kind wiederkehre oder sein Weib die Sprache zurückerhalte — er bittet nur:

          »Erlauchte Maid Morgenröte, geh, zeig mir den Weg, der zum Meerkönig führt!«

          Auch hiezu sagt die Maid Morgenröte nichts, gibt ihm nur freundlich die Weisung:

          »Wenn es bei wachsendem Monde zu tagen beginnt, setze dich in den Kahn, warte Fahrwind ab und fahr mit dem Winde dem Sonnenaufgang entgegen. Der Wind wird dich zum Eilande Bujan tragen, zum Steine Alatir. Dort erwarte ich dich und will dir den Weg zu Meerkönigs Hallen weisen.«

          Trieb also der Wind den Kahn, trug ihn hinaus in das Meer Nirgendwo, dem Eilande Bujan zu. Schwimmt das schwellende Eiland, grünendem Garten gleich. Schwellender Rasen auf ihm, Weinrebenranken und Mandelblüte. In des Eilands Mitte ein Edelstein, weiß leuchtend, der Stein Alatir. Des Steines eine Hälfte glüht über dem Eiland, die andere unter dem Eiland leuchtet ins Meer.

          Dort auf dem Eilande Bujan, auf dem Steine, auf Alatir, sitzt die Maid Morgenröte. Freundlich empfängt sie Palunko, freundlich unterweist sie ihn. Zeigt ihm die Stelle, wo an dem Eiland im Meere ein Mühlrad schwimmt. Um das Mühlrad winden die Meermaiden ihren Reigen. Freundlich belehrt sie ihn, wie er das Mühlrad zu bitten hat, daß es ihn niederlasse in Meerkönigs Reich, ohne daß ihn die Meeresabgründe verschlängen.

          »Große Güter und Herrlichkeiten wirst du in Meerkönigs Reiche genießen«, fügte die Maid Morgenröte hinzu. »Aber wisse: Zur Erde kannst du nicht zurück, denn da sind drei furchtbare Wachen davor bestellt. Die wühlt Wellen auf, die zweite läßt Winde wehen, die dritte aber kreuzt Blitze.

          Palunko jedoch setzt sich vergnügt in den Kahn und fahrt auf das Mühlrad zu.

»He, Maidlein Morgenröte«, c: dabei, »du weißt nicht, was Elend ist auf dieser Welt. Werd' ich mich wohl auf die Welt zurückwünschen, wo ich rein nichts als Unglück verlasse?«

          Kommt das Mühlrad in Sicht, winden da Meermaiden um das Rad übermütige Reigen. Tauchen in die Woge, jagen sich übers Meer, breitet ihr loses Haar sich über die Woge, flimmern die silbernen Flossen, lacht ihr roter Mund. Auch auf dem Rade wiegen sie sich, peitschen ringsum die Wasser zu Schaum.

          Schwimmt der Kahn an das Mühlrad heran und Palunko tut, wie ihn die Maid Morgenröte gelehrt hat: hebt das Ruder empor, damit die Meeresabgründe ihn nicht verschlingen, und spricht zum Mühlrad so:

 

          » Wasserwirbel, dreh dich, dreh,

          Sei's zum tiefsten Todesweh,

          Sei's zum Könige der See. «

 

          Kaum hatte Palunko diese Worte gesprochen, da schnellten die Meermaiden umher wie silberne Fischchen, sammelten sich um das Rad, ihre weißen Hände griffen in dessen Speichen und drehten es um und um mit schwindelnder Schnelle.

          Zog ein Wirbel sich in das Wasser, ein Wirbel, furchtbar und tief, sog der Wirbel Palunko in sich, trieb Palunko wie ein dünnes Stengelchen um und um, riß ihn hinab in Meerkönigs mächtige Hallen.

          Noch rauscht in Palunkos Ohren das Meer, noch klingt darin das übermütige Lachen der Meermaiden nach, aber schon findet er sich auf prächtigem Sande, feinem Sande aus Körnchen von lauterem Gold.

          Sieht Palunko sich um und ruft: »Ho, das ist mir ein Wunder! Ganze Ebenen hier aus herlichem goldenen Sand!«

          Palunko scheint es so, daß sich hier eine Ebene weitet, wo ihn doch des Meerkönigs weite Halle umgibt. Um die Halle steht das Meer wie mit marmornen Wänden, ob der Halle steht es wie eine Wölbung aus Glas. Von dem Steine, von Alatir, blinkt ein blaßblaues Licht wie blaßblauer Mondenschein. Über die Halle hin hängen Zweige aus Perlen, Korallentische erheben sich in der Halle.

          Und an ihrem Ende, dem fernsten Ende, wo Flöten schwirren und winzig Schellchen klirren, dort, wohlgemut, liegt des Meeres König und ruht. Auf dem goldenen Sande hat er sich hingestreckt, nur den Ochsenkopf ein wenig erhoben — neben ihm eine Korallentafel, hinter ihm ein Gehege aus Gold.

          Solch ein fein und schwirrend Getön aus schlanken Flöten, solch ein rasend rasches Gebimmel winziger Schellchen, solch ein Glanz und Prachtgefunkel — so viel Wonne, so viel Glückseligkeit — nie hätte Palunko gedacht, daß es derlei irgendwo auf der Welt gäbe.

          Schier außer sich geriet Palunko aus lauter Freude, ihm war, als hätt' er ein Räuschchen, so hüpfte sein Herz. Er patschte in die Hände, rannte auf dem goldenen Sande dahin, leichtfüßig wie ein Kind, und schlug wie ein närrischer Gassenjunge zwei bis drei Purzelbäume dazwischen.

          Daran fand der Meerkönig großes Gefallen. Meerkönigs Füße sind nämlich schwer, überaus schwer, und schwerer noch sein gewichtiger Ochsenkopf. Meerkönig bricht in solch ein Gelächter aus, daß er sich schüttelt, und da er bei diesem Gelächter im Sande ruht, spritzen die goldenen Körnchen um ihn herum.

          »Bist ein leichtfertiges Bürschchen, fürwahr«, sagt der Meerkönig und knickt einen über ihm hängenden Perlenzweig ab, den er Palunko schenkt. Auf Meerkönigs Befehl bringen die Meermaiden auf goldenen Platten erlesene Gerichte und honigsüßes Getränk. So speist nun Palunko neben dem Meerkönig an der Korallentafel. Allerhöchste Ehre für ihn! Nach der Mahlzeit fragt der Meerkönig Palunko:

          »Hast du noch ein Gelüste, Bürschchen?«

          Was hätte ein elender Armer wohl für Gelüste, der an etwas Gutem noch niemals gerochen hat? Aber hungrig war Palunko vom langen Wege geworden und so erlesene Gerichte und honigsüßes Getränk hatten seinen Hunger nur karg gestillt. Also sprach er:

          »Ja, Meerkönig, wenn du mich fragst: mich lüster's nach einer großen Schüssel gesottener Melde.«

          Meerkönig, darob verwundert, sann erst ein wenig nach. Dann lachte er und sprach zu Palunko:

          »Eh, Brüderlein, Melde ist bei uns kostbar, kostbarer als Perlen und Perlmutterschmelz, weil sie so weit von uns wächst. Doch wenn's dich just danach gelüstet, so schicke ich eine geflügelte Meerwila aus, die bringt dir dann Melde vom Festland. Aber drei Purzelbäume mußt du mir dafür schlagen.«

          Freudvoll, wie Palunko ist, fällt ihm das gar nicht schwer. Leichtfüßig springt er empor und hurtig sammeln sich Meermaiden und allerlei kleines Volk in der Halle, um dieses Wunder mi tanzuschen.

          Palunko nimmt seinen Anlauf über den goldenen Sand, überschlägt sich zum ersten—, zum zweiten—, zum drittenmal, und der Meerkönig und all das kleine Volk rundum lacht sich halbtot über solch eine Kunstfertigkeit.

          Am lustigsten aber der kleine König, und das war ein ganz zartes Kindlein, das die Meermaiden aus Scherz und Übermut zu ihrem Könige gekrönt hatten. In einer goldenen Wiege sitzt der kleine König, hat ein seiden Hemdchen an und die Wiege ist mit Klingelperlen bekränzt. In der Hand hält das kleine Kind einen goldenen Apfel.

          Wie Palunko so einen Purzelbaum über den andern schlägt und der kleine König darüber so lustig lacht, schaut Palunko sich nach ihm um. Schaut den kleinen König an — da erstarrt Palunko: das dort ist ja sein Söhnchen, der kleine Vlatko.

          Oha! Gleich verschlägt es Palunko die Eßlust. Er hätte selbst nie geglaubt, daß sie ihm so schnell vergällt werden könnte.

          Sofort verfinstert sich Palunkos Gesicht — die Galle steigt ihm auf. Als er sich ein wenig gefaßt hat, denkt er:

          »Da schau mal, wo der kleine Schreihals sich hin versteckt hat, um in Scherz und Übermut König zu spielen, und daheim seine Mutter ist stumm geworden vor Kummer!«

          Bitterbös ist Palunko, kann weder sich noch seinen Sohn in diesen Hallen mehr sehen; doch verraten darf er dies beileibe nicht, man würde ihn sonst von seinem Sohne trennen. Er macht sich also zum Diener des kleinen Vlatko, denn: »Nlanchmal bleibe ich dann allein mit dem Kinde«, denkt er, »werde das Kind an Vater und Mutter erinnern, nehme mit ihm Reißaus, trage den kleinen Trotzkopf von Sohn zur Mutter zurück.«

          So denkt Palunko und wirklich erscheint ein Tag, wo er allein mit dem Kinde geblieben ist und dem kleinen Vlatko zuflüstert: »Auf, Söhnchen, auf! Vater will mit dir fliehen!«

          Aber Vlatko war noch ein ganz kleines Kind und hatte, da er lange unter dem Meere geweilt, den Vater schon vergessen. So lacht das kleine Königlein, lacht und meint, Palunko spaße. Mit dem Füßchen stößt's nach Palunko.

          »Du mein Vater nicht, du der lustige Narr, der vor Meerkönig Purzelbaum schießt.«

          Palunko gibt das einen Stich ins Herz, der Zorn zersprengt ihn schier. So geht er hin und weint vor Bitternis. Gleich sammelt sich Meerkönigs Ingesinde um ihn.

          »Eh, der da muß ein gewaltig großer Herr auf Erden gewesen sein«, sagt eines zum andern, »wenn er bei so viel Pracht und Überfluß weint.«

          »Meiner Seel', ich war, was der Meerkönig ist. Hab' ein Kind gehabt, das mir in den Bart geklettert ist, eine Frau, die mir Wunder erzählt hat — und Melde, Bruderherz, Melde, soviel du willst, und niemanden brauchst du dafür etwas vorzupurzeln!« sprach der gekränkte Palunko.

          Über so viel Vornehmheit erstaunt das Ingesinde und überläßt es Palunko, seinem Glück nachzutrauern. Und Palunko bleibt des kleinen Königleins Diener. Er tut dem Söhnchen zuliebe, soviel er kann. »Irgendwie überred' ich dich schon«, denkt er, »daß du mit mir durchgehst.«

          Doch das kleine Königlein wird mit jedem Tag mutwilliger, übermütiger, und je mehr der Tage vergehen, ein um so größerer Narr ist in des Kindes Augen Palunko.

 

2.

 

          Währenddessen trauerte einsam daheim Palunkos Frau. Am ersten Abend hatte sie das Herdfeuer unterhalten und die Mahlzeit bereitet, doch als Palunko nicht heimkam, ließ sie das Feuer ausgehen und fachte es nicht mehr an.

          Die arme Stumme sitzt an der Schwelle, sie arbeitet nicht, besorgt das Haus nicht, sie weint nicht, sie wehklagt nicht, sie richtet sich vor Jammer und Leid zugrunde. Weder kann sie sich Rat dei jemand erholen, da sie doch stumm ist, noch kann sie aufs Meer, um Palunko zu suchen, da die Trauer sie kraftlos gemacht hat.

          Wo soll die Unselige hin? So geht sie denn eines Tages weit hinauf ins Gebirge, wo ihre Mutter begraben liegt. Und wie sie so am Grabe der Mutter weilt, tritt eine schöne Hindin vor sie hin.

          In der Sprache der Stummen spricht die Hindin zu ihr:

          »Sitze nicht so und richte dich nicht zugrunde, dir müßte das Herz zerspringen, das Haus zerfallen. Sondern Abend für Abend bereite Palunko die Mahlzeit und nach der Mahlzeit zerteile und schlichte Werg. Kommt Palunko nicht, so nimm am frühen Morgen sein Abendmahl, das weiche Werg dazu, trag auch die zierliche Doppelflöte mit dir und geh ins Kahlgebirge. Spiele dort auf der Doppelflöte, Schlangen und Schlänglein werden die Mahlzeit verzehren, Möwen mit dem Werg ihre Nester auslegen.«

          Die Tochter verstand alles gut, was ihr die Hindin sagte, und tat so. Abend für Abend bereitet sie nun die Mahlzeit, nach der Mahlzeit zerteilt und schlichtet sie Werg. Kommt Palunko nicht, so nimmt die Frau früh am Morgen die zierliche Doppelflöte, trägt Abendmahl und Werg in das Kahlgebirge. Spielt sie dann auf der Doppelflöte, bläst sie leise ins rechte Rohr, so schlüpfen aus dem Kahlgebirge Schlangen und Schlänglein, verzehren das Abendmahl, danken der stummen Frau in der Sprache der Stummen. Spielt sie jedoch auf dem linken Rohr, dann fliegen Möwen und Möwenjunge herbei, tragen das Werg in die Nester und danken ihr.

          So tat nun die Frau Tag um Tag — und schon war der Mond dreimal wiedergekommen, Palunko aber noch nicht zurückgekehrt.

          Wieder drückt schwere Trauer die Stumme zu Boden, wieder sucht sie das Grab ihrer Mutter auf.

          Wieder tritt die Hindin hervor und die Frau spricht zu ihr in der Sprache der Stummen:

          »Sieh, Mutter, so, genau so hab' ich alles getan. Umsonst! Kein Palunko! Ertrage das Warten nich länger. Zerschelle ich mich an der Felswand oder stürze ich mich ins Meer?«

          »Mein Töchterchen«, sprach die Hindin, »werde nicht untreu! Arge Qualen quälen deinen Palunko. Hör, wie du ihm helfen sollst. Im Meere Nirgendwo gibt es irgendwo einen großen Barsch, auf dem Barsche befindet sich eine goldene Rückenflosse, auf der Flosse ein goldener Apfel. Fängst du beim Lichte des Mondes den großen Barsch, so milderst du Palunkos Kummer. Doch bis zum Meere Nirgendwo heißt es drei Wolkenhöhlen durchschiffen: in der ersten liegt eine ungeheuere Schlange, aller Schlangen Mutter, sie wühlt die Fluten auf, sie wellt die Wogen; in der zweiten Höhle haust ein riesiger Vogel, aller Vögel Vater, er facht den Sturm an; in der dritten schwirrt eine goldene Biene, aller Bienen Mutter, Blitze kreuzt sie und ruft sie hervor. Fahre, Töchterchen, bis ins Meer Nirgendwo, nimm die Angel mit dir und die zierliche Doppelflöte, sonst nicht. Und gerätst du in schwere Not, so trenne deinen rechten Armel aus, den weißen, ungesäumten.«

          All dies behielt die Tochter, nahm andern Tags einen Kahn, fuhr hinaus auf das offene Meer und trug nichts bei sich als die Angel und die zierliche Doppelflöte. Ziellos irrte sie auf dem Meere umher, ließ sich treiben, bis das Meer sie zu einer Stelle trug, wo sich über dem Meere drei furchtbare Höhlen aus schwerem Gewölk erhoben.

          Am Eingang der ersten Höhle hob eine greuliche Schlange, aller Schlangen Mutter, ihr Haupt. Der ungeheuere Kopf verschloß den ganzen Eingang und ihr Leib, der sich durch die Höhle erstreckte, wälzte und schwang seinen riesigen Schweif, trübte das Meer damit und wellte die Wogen.

          Die Frau darf sich nicht in die Nähe des Ungetüms wagen, doch entsinnt sie sich ihrer Doppelflöte und beginnt auf dem rechten Rohre zu spielen. Wie sie so spielt, kommen vom Kahlgebirge der fernen Küste Schlangen und Schlänglein geschwommen. In Scharen schwarnmen sie, eilten herbei, buntfarbige Schlangen und kleine Schlänglein, und legten bei der furchtbaren Ahnherrin Fürsprache ein:

          »Ahnherrin, laß die Frau mit dem Kahn durch die Höhle. Sie hat uns viel Gutes getan, hat uns Morgen um Morgen Nahrung gegeben.«

          »Kann sie nicht durch die Höhle lassen, habe heute das Meer aufzuwühlen«, erwiderte die furchtbare Schlange. »Hat sie euch aber Gutes getan, will ich's mit Gutem erwidern: Steht ihr der Wunsch nach einem Klumpen Gold oder nach sechs Perlenreihen?«

          Von Gold und Perlen läßt sich die treue Frau nicht verblenden, sie spricht die Schlange an in der Sprache der Stummen:

          »Bin nur eines kleinen Dinges wegen gekommen, eines Barsches wegen aus dem Meer Nirgendwo. Hab' ich dir Gutes getan, so laß mich durch die Höhle, großmächtige Schlange!«

          »Laß sie durch, Ahnherrin«, stimmten Schlangen und Schlänglein ein, »schau, wie viele der Unsrigen hat sie genährt, aufgezogen! Du aber, Urmütterchen, leg dich und schlaf ein Weilchen, wir werden für dich das Meer aufwühlen.«

          So zahlreicher Nachkommenschaft kann die Schlange nicht widerstehen, und sie sehnt sich schon tausend Jahre nach etwas Schlaf. Läßt also die Frau durch die Höhle, streckt, die Greuliche, sich durch die Höhle hin und schläft ein. Vorher aber hat sie den Ihrigen aufgetragen:

          »Wühlt mir das Meer gehörig auf, meine Kinder, dieweil ich ein wenig ausruhe!«

          So fährt die Stumme denn durch die Höhle hindurch. Schlangen und Schlänglein bleiben darin zurück. Statt das Meer aufzuwühlen, beruhigen und stillen sie es.

          Bald kommt die Frau hindurch und vor die zweite Höhle. Ein Riesenvogel haust in der zweiten Höhle. Aller Vögel Vater. Aus dem Eingang hat er den schrecklichen Kopf vorgestreckt, den ehernen Schnabel aufgeklappt und die ungeheuren Flügel in der Höhle entfaltet. Mit den Flügeln facht er den Sturm an.

          Die Frau greift zur Doppelflöte und spielt auf dem linken Rohr. Da fliegen graue Möwen und kleine IMöwchen von der fernen Küste herbei und bitten den schrecklichen Vogel, die Frau mit dem Kahn durch die Höhle zu lassen, denn sie habe ihnen viel Gutes getan, Tag um Tag Werg für sie ausgebreitet.

          »Kann sie nicht durch die Höhle lassen, habe heute einen gewaltigen Sturm zu entfachen.

          Aber hat sie auch Gutes getan, will ich's mit Größerem ihr vergelten. Geb' ihr lebendiges Wasser aus meinem Schnabel, daß ihr das lebendige Wort wiederkehrt!«

          Oh, das war schwer für die arme Stumme, die sich so nach der Wiederkehr des lebendigen Wortes sehnte. Doch aber blieb sie treu und sprach zum Vogel in der Sprache der Stummen:

          »Bin nur eines kleinen Dinges wegen gekommen, eines Barsches wegen aus dem Meer Nirgendwo. Hab' ich dir Gutes getan, so laß mich durch die Höhle!«

          Der Vögel Ahnherr ließ sich durch die Möwen erbitten, die redeten ihm auch noch zu, ein wenig zu schlummern, sie wollten an seiner statt den gewaltigen Sturm entfachen. Der Vögel Ahnherr gab seiner Sippschaft nach, hing sich mit den ehernen Krallen an die Höhlenwand und schlief ein.

          Und die Möwen und Möwchen? Statt den gewaltigen Sturm zu entfachen, beruhigen und stillen sie ihn.

          So fuhr die stumme Frau durch die zweite Höhle und kam vor die dritte.

          In der dritten Höhle hauste die goldene Biene. Am Eingang schwirrt die goldene Biene umher, kreuzt Feuerblitze, läßt donnernde Donner rollen. Meer und Höhle grollen, Blitz um Blitz klirrt durch die Wolkenwand.

          Grauen erfaßt die Frau, die sich allein vor diesem Schrecknis sieht. Da entsinnt sie sich ihres rechten Armels, des weißen, ungesäumten, den trennt sie aus, schlägt damit nach der goldenen Biene, Fängt die Biene im Armel ein.

          Verstummt auf einmal sind Blitze und Donnergeroll und die goldene Biene bittet:

          »Gib mir die Freiheit, Frau! Will dich etwas lehren. Blicke dorthin über das weite Meer!

          Da wirst du eine große Freude erblicken!«

          Die Frau blickt über das weite Meer. Eben will sich die Sonne erheben, in zartem Rosenrot erschimmern die himmlischen Höhen, zartes Rosenrot breitet sich über die Fluten von Aufgang her, aus den Fluten erhebt sich ein silberner Nachen und gleich einer leuchtenden Königsjungfrau steht im Nachen die lichte Maid Morgenröte. Hat ein kleines Kind neben sich in seidenem Hemdchen, das einen goldenen Apfel hält. Früh am Morgen fährt die Maid Morgenröte mit dem kleinen König auf dem Meere umher.

          Die Frau hat ihr verlorenes Söhnchen erkannt.

          O wunderbarstes der Wunder: Dehnt sich das Meer so weit, daß Mutterhände es nicht zu umspannen vermögen? Steht die Sonne so hoch, daß Mutterhand nicht zu ihr emporgelangt?

          Allzu große Freude durchzittert sie, sie bebt wie dünnes Espenlaub. Soll sie die Arme nach ihrem Kinde ausstrecken? Soll sie es zu sich locken mit liebem Laut? Ober nur in Ewigkeit so in semen Anblick versunken bleiben?

          Über das rosenrote Meer hin gleitet der silberne Nachen, in der Ferne verschwimmt der Nachen, ins Meer ist er getaucht, ehe die Mutter zu sich kommt.

          »Ich will dir die Wege weisen«, sagt die goldene Biene zur Frau. »Zum kleinen Könige, deinem Söhnchen, sollst du gelangen, sollst mit ihm leben in Glück und Seligkeit. Gib mich zuvor nur frei, damit ich Blitze kreuzen kann in der Höhle, und fahre mir nicht durch die Höhle!«

          Bittere Pein überfällt die arme Mutter, überfällt sie, durchwühlt sie. Hat sie doch ihr Kind erblickt, den Wunsch aller Wünsche mit Augen gesehen — mit Augen gesehen, erblickt und nicht umarmt, nicht geküßt. Bittere Pein durchwühlt sie: soll sie Palunko treu, soll sie untreu sein? Soll sie die Biene freigeben und zu ihrem Söhnchen kommen oder die Höhle durchfahren in das Meer Nirgendwo, des großen Barsches wegen?

          Wie die Pein sie so mächtig durchwühlt, lösen die Tränen sich von ihrem Herzen los, kehrt das lebendige Wort ihr zurück, und in der Sprache der Lebenden spricht sie jetzt zu der Biene:

          »Peinige mich nicht, goldene Biene! Ich gebe dich nicht frei, denn ich muß durch die Höhle hindurch. Ich habe mein Kind beweint und in meinem Herzen begraben. Nicht meines Glückes wegen, nur eines kleinen Dinges wegen bin ich gekommen, eines Barsches wegen aus dem Meer Nirgendwo.«

          So sprach die Frau und fuhr in die Höhle ein. In der Höhle ruhte sie aus, atmete aus, wartete dort im Kahne die Nacht und den Aufgang des Mondes ab.

          O Freude, wie hat sich doch heute das Meer so zur Ruhe gelegt und der Sturm in der Luft gestillt, wo in der einen Höhle die furchtbare Schlange schläft, in der andern der Riesenvogel — in der dritten die müde, gepeinigte Frau!

          In so tiefer Stille verging der Tag, brach der Abend an, blinkte der Mond auf. Als um Mitternacht der Mond hoch am Himmel stand, fuhr die Frau in das Meer Nirgendwo und warf inmitten des Meeres die Angel aus.

 

3.

 

          Am Abend befahl der kleine König seinem Diener Palunko, ihm noch in der Nacht ein paar gute Leitseile aus Seide zu flechten. »Morgen, in aller Frühe, will ich dich vor mein Wägelchen spannen, sollst mich hin und her fahren über den goldenen Sand.«

          Eh, das war zuviel für Palunko. Hatte er sich bisher vor der Maid Morgenröte versteckt, wenn sie in goldener Frühe unter das Meer hinabkam, so sollte sie nun mit ansehen, wie der Sohn ihn vor sein Wägelchen spannte!

          Jetzo schläft alles Ingesinde, schläft der Meerkönig, schläft das kleine Königlein — nur Palunko ist wach. Leitseile flicht er, flicht sie wacker und flink, als stecke ihm etwas im Sinn. Nun sind sie geflochten, und feste Leitseile sind es! Da sagt Palunko:

          »Hab' ich niemand gefragt, solange ich handelte wie ein Narr, werd' ich's auch jetzt nicht tun, da mir der Verstand wiederkommt.«

          Gesagt und leise bis an die Wiege geschlichen, wo das Söhnchen in festem Schlafe liegt, die Seile durch die Sprossen der Wiege gezogen, die Wiege sich auf den Rücken gebunden und nun mit dem Sohn in der Wiege auf und davon!

          Leise schreitet Palunko über den goldenen Sand — durchmißt die gewaltige Halle, die sich wie eine Ebene weitet, windet sich durch das Gehege aus Gold, schiebt die Perlenzweige zur Seite. Und dort angelangt, wo das Meer sich wie Wände erhebt, zaudert Palunko nicht, sondern schwimmt mit dem Kinde hinein.

          Weit ist es, traurig, o traurig weit von Meerkönigs Hallen bis an die lichte Welt! Palunko schwimmt und schwimmt, doch wie hoch kann wohl ein armer Fischer schwimmen, auf dessen Rücken noch das kleine Königlein drückt samt dem goldenen Apfel und der goldenen Wiege! Ihm ist, als steige das Meer über ihm immer höher und schwerer an!

          Schon ist Palunko völlig von Kräften, da fühlt er noch: etwas stößt mit der Wiege zusammen, etwas hat sich in die Sprossen der Wiege verhakt. Kaum hat sich's verhakt, so beginnt es auch hurtig und heftig daran zu ziehen.

          »Jetzt, o ich Elender, bin ich vom Leben geschieden«, sagte Palunko zu sich. »Jetzt trägt mich ein Meerungeheuer auf seinem Zahn.«

          Es war aber nicht der Zahn eines Meerungeheuers, eine beinerne Angel war's, und Palunkos Frau hatte die Angel herabgelassen.

          Kaum fühlte die Frau, daß die Angel gegriffen, hatte, da sammelte sie freudig all ihre Kraft, zog und hob, damit ihr nur ja der große Barsch nicht entkäme. Das erste, was sich, als sie so zog and zog, aus dem Meere zeigte, waren die goldenen Sprossen der Wiege. Im Mondschein nahm die Frau diese nicht deutlich wahr, sondern dachte: »Sieh da, die goldene Rückenflosse des großen Barsches!«

          Dann zeigte sich das Kind mit dem goldenen Apfel. Und wieder dachte die Frau: »Das ist der goldene Apfel auf der Flosse des Barsches!« Als aber zuletzt Palunko mit seinem Kopf aus dem Meere auftauchte, da rief die Frau frohgemut: »Und das ist der große Barsch!«

          Rief es frohgemut, zog ihn ganz zu sich. Und als sie alles genug nahe hatte — o ihr Freunde mein! —, wer könnte das schön genug schildern, wie es ihnen vor übergroßer Freude zumute ward, als sich so diese drei wieder zusammenfanden, im Kahne, im Mondschein, inmitten des Meers Nirgendwo!

          Aber es galt, keine Zeit zu verlieren. Die Höhlen mußten durchfahren werden, eh die Wachen in ihnen erwachten. So griffen sie denn die Ruder auf und ruderten aus allen Kräften.

          Doch unverhofft Leid kommt oft! Kaum hat das kleine Königlein seine Mutter erblickt, so erinnert es sich an sie. Schlingt das Kind beide Armchen um Mütterchen — da entfällt ihm der Apfel aus Gold. Ins Meer sinkt der Apfel, sinkt, sinkt bis zum Meeresgrund, bis in Meerkönigs Hallen, und fällt dem Meerkönig just auf die Brust. Meerkönig erwacht, zornig brüllt er auf. Die Halle entlang Fährt alles Ingesinde aus tiefem Schlafe, wird gleich gewahr: das kleine Königlein ist mit dem Diener verschwunden. Und sofort hebt die Verfolgung an. In den Mondschein hinauf schwimmen die Meermaiden, in die Nacht hinaus fliegen des Meeres beflügelte Wilen, schicken hurtige Eilboten vor sich her, um die Höhlenwächter zu wecken.

          Doch der Kahn hat die Höhlen schon hinter sich. So setzt die Verfolgung ihm nach. Palunko und seine Frau schwingen die Ruder mit aller Kraft, doch hinter ihnen hetzt die Verfolgung her, peitschen die Meermaide schon die Wogen, fliegen des Meeres beflügelte Wllen, wälzt aufgewühlt sich das Meer heran, fegt und faucht aus den Wolken der Wind. Immer näher hetzt die Meute von jeder Seite. Nicht das flinkste Schiffchen könnte entkommen, wie erst ein kleiner, zweirudriger Kahn! Noch birgt er in eiliger Fahrt sich vor den Verfolgern, doch wie eben der helle Tag anbricht, hat das Verderben ihn von ringsher umschlossen.

          Überflügelt hat der schnaubende Wind den Kahn, erreicht haben die schwimmenden Wogen ihn, einen Kranz haben die Meermaiden um ihn geflochten. Hebt und senkt im Schaukeltanz um den Kahn sich der Kranz. Wilde Wogen lassen die Meermaiden durch, nicht aber den Kahn auf den Wogen. Zischt der Meeresgischt, Winde sausen und brausen.

          Angst vor dem Untergang hat Palunko ergriffen. Da ruft er todesbang:

          »Hilf, o lichte Maid Morgenröte!«

          Sieh, da hebt aus dem Meere sich die Maid Morgenröte. Erblickt Palunko, aber nicht ihn sieht sie an. Sieht das kleine Königlein an, doch ihm schenkt sie nichts, schenkt der treuen Frau eine eilige Gabe: ein Tüchlein, fein gestickt, und eine Busennadel.

          Das Tüchlein wandelt sich zu einem weißen Segel, die Busennadel zum Steuer. Der Wind füllt das Segel wie einen Apfel prall und die Frau faßt mit fester Hand nach dem Steuer. Zerteilt ist der Kranz um den Kahn, übers Meeresgrau fliegt der Kahn wie ein Stern übers Himmelsblau! Fliegt, ein seltsam Wunder, vor der grausen Verfolgerschar — je wilder die hetzende Meute, um so mehr hilft sie ihm; je stärker der Wind, um so schneller der Kahn vor dem Wind; je wilder das Meer, um so rascher der Kahn übers Meer.

          Das Kahlgebirge der Küste zeigt sich in der Ferne, an der Küste Palunkos Häuschen, vor dem Häuschen ein seichter, weißlich schimmernder Strand. Wie das Ufer sich zeigt, nehmen die Kräfte der hetzenden Meute ab. Des Meeres Wilen scheuen die Küste, die Meermaiden bleiben dem Ufer fern, auf hohem Meer bleiben Wogen und Wind zurück, nur der Kahn flüchtet geraden Weges der Küste zu wie ein Kind in der Mutter Schoß.

          Fliegt also der Kahn der Küste zu, fliegt über den weißen Strand, schlägt an die Felswand. Bricht der Kahn an der Felswand entzwei, versinken Segel und Steuer, fällt die goldene Wiege ins Meer, entweicht die goldene Biene — findet Palunko mit Weib und Kind sich vor seinem Häuschen am seichten Strande.

          Eh! Als sie an jenem Abend zum Abendmahl gesottene Melde verzehrten, da war alles vergessen, was sich ereignet hatte. Und wär' jene Doppelflöte nicht, so wüßte man nichts mehr davon. Wer aber in jene Flöte bläst, dem dudelt das grobe Rohr dies von Palunko vor:

 

                    Tor Palunko,

                    Kummertrunken,

                    Auf des Meeres

                    Grund versunken.

 

          Das feine Rohr aber gedenkt der Frau:

 

                    Strahle, strahle Frührotblickchen,

                    Hier ein frisches, kleines Glückchen,

                    Dreimal wär's zugrund' gegangen;

                    Treue Frau wird's neu erlangen.

 

          Das erzählen die Rohre der Doppelflöte dem Erdenrund.