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Landstreicherlein Toporko und die neun Gaugraflein

Ivana Brlić-Mažuranić

autor

zbirka

Aus Urvaterzeiten - Marchen aus kroatischer Urzeit

godina

1999.

jezik

njemački

jezik izvornika

hrvatski

medij

tiskani tekst

prevoditeljica

Camilla Luzerna

ilustrator

Vladimir Kirin

sken

ilustracije

priča

1.

 

          In seiner Gaugrafschaft, die sich weithin erstreckte, erging sich Gaugraf Jurina, um zu erfahren, was es da und dort gäbe und wem etwas vonnöten sei. Und so kam er auch auf eine kleine Wiesenfiur. Auf dieser Wiesenflur waren neun Ahornbäumchen aus der Erde hervorgebrochen, aber von nirgendsher floß ihnen 'Wasser zu. Dem Gaugrafen tat’s um die Bäumchen leid und er befahl den Knechten, Wasser für sie herbeizuleiten. Alsogleich hoben die Knechte einen Graben aus, leiteten einen Bach hinein, und als das Wasser die Wurzeln der Ahornbäumchen bespülte, sprach Gaugraf Jurina:

          »Jetzt, meine Ahornbäumchen, wachsen und wehrt euch, wie jeder es seiner Kraft nach wermag. « Hierauf entfernte er sich. Und da des Gaugrafen Gau eine große Gaugrafschaft war und er vielerlei Sorgen hatte, vergaß er bald auf jene Ahornbäumchen.

          Während der Gaugraf sich noch mit den Bäumchen beschäftigt hatte, war Großvater Wetterwart rüber den Himmel geschritten. Großvater Wertterwart stutzt weder Haar noch Bart, braucht weder Schwamm noch Kamm, noch beschneidet er seine Nägel; doch mit dem ersten Frührot und wenn die Nacht heraufdämmert, schreitet er über den 1-Iimmel. Er hat Weit- schritt—Opanken an seinen Füßen und ein Schöpfeimet-Häppchen über das l3aupthaar gestülpt. Mit den Weitschritt—Opanken holt er von Wolke zu Wolke aus — in zwei Schritten hat er den Himmel durchschritten; mit dem Schöpfeimer—Häppchen schöpft er Wasser am Urquell und spreitet ...

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Landstreicherlein Toporko und die neun Gaugraflein

Ivana Brlić-Mažuranić

1.

 

          In seiner Gaugrafschaft, die sich weithin erstreckte, erging sich Gaugraf Jurina, um zu erfahren, was es da und dort gäbe und wem etwas vonnöten sei. Und so kam er auch auf eine kleine Wiesenfiur. Auf dieser Wiesenflur waren neun Ahornbäumchen aus der Erde hervorgebrochen, aber von nirgendsher floß ihnen 'Wasser zu. Dem Gaugrafen tat’s um die Bäumchen leid und er befahl den Knechten, Wasser für sie herbeizuleiten. Alsogleich hoben die Knechte einen Graben aus, leiteten einen Bach hinein, und als das Wasser die Wurzeln der Ahornbäumchen bespülte, sprach Gaugraf Jurina:

          »Jetzt, meine Ahornbäumchen, wachsen und wehrt euch, wie jeder es seiner Kraft nach wermag. « Hierauf entfernte er sich. Und da des Gaugrafen Gau eine große Gaugrafschaft war und er vielerlei Sorgen hatte, vergaß er bald auf jene Ahornbäumchen.

          Während der Gaugraf sich noch mit den Bäumchen beschäftigt hatte, war Großvater Wetterwart rüber den Himmel geschritten. Großvater Wertterwart stutzt weder Haar noch Bart, braucht weder Schwamm noch Kamm, noch beschneidet er seine Nägel; doch mit dem ersten Frührot und wenn die Nacht heraufdämmert, schreitet er über den 1-Iimmel. Er hat Weit- schritt—Opanken an seinen Füßen und ein Schöpfeimet-Häppchen über das l3aupthaar gestülpt. Mit den Weitschritt—Opanken holt er von Wolke zu Wolke aus — in zwei Schritten hat er den Himmel durchschritten; mit dem Schöpfeimer—Häppchen schöpft er Wasser am Urquell und spreitet Tau über die Wiesen. Mit dem Barte facht er den Wind an und mit den Nägeln reißt er die Wolken entzwei, läßt den Regen herab, wo er not tut. Auch den Nebel vertreibt er, so daß die Sonne den Erdboden wärmen und nachschauen kann, ob der Weizen keimt.

          Großvater Wetterwart hatte also an jenem Morgen ob jener Wiesenflur gewellt und mit angesehen, wie der Gaugraf die jungen Ahornbäumchen versorgte.

          Großvater Wetterwarts Gunst gewinnst du schon, wenn du ein Grashälmchen aufrichtest — hilfst du gar einem Stammlein, so nimmt er dich zum Bruder an. Denn nichts Wichtigeres gibt es für ihn auf der Welt als Wald und Wiesenland. Die sieht er sich seit Urbeginn aus den Wolken an, wie sie die Erde bedecken; daß aber da und dort einmal ein weißes Gehöft aufblinkt, darauf versteht sich der Großvater nicht. Das kann nichts bedeuten, denkt er.

          Da er also mit ansah, wie der Gaugraf die Ahornbäumchen versorgte, sagte der Großvater:

          »Ein guter Mensch das, der Gaugraf, da er sogar für kleine Ahornbäumchen ein Herz hat. Dem wollen wir an die Hand gehn.«

          Kam also Großvater Wetterwart Tag um Tag dahergeschritten, bebaute die Bäumchen mit Tau, netzte sie mit Regen, ließ sie von der Sonne erwärmen. Und die Ahornbäumchen — ihrer neun — wuchsen, Bruder, ich sage dir, eine Pracht war’s, sie anzusehen! Neben den Ahornbäumchen wuchs aber ein zehntes, ein kleiner Buchensprößling, empor, und wie die Ahornbäumchen üppig zu den Wolken aufstreben, beeilt sich auch der Buchensproß, es ihnen gleichzutun; doch klein, wie er ist, vermag er sie nicht einzuholen.

          Inzwischen war es zum drittenmal Sommer geworden, und eines Morgens trat Gaugraf Jurina auf den Turm seines Schlosses hinaus. Gaugraf Jurina überschaut die Bereiche seiner Gaugrafschaft und es ist ihm lieb, wahrzunehmen, daß seine Grafschaft grünt wie ein Strauß am Georgitag. Als er aber dort auf der Wiesenflur jene neun Ahornbäumchen erblickte, da seufzte der Kummervolle tief auf. Schwere Trauer lastete auf des Gaugrafen Herzen, hatte ihm doch der Tod seine männlichen Nachkommen alle geraubt, als hätte der Erzfeind sie verwünscht.

          »Lieber Gott! Diese prächtigen Ahornbäumchen! Wüchsen mir doch im Schlosse neun solcher Gaugräflein! « seufzte der Gaugraf.

          Kaum hatte er dies ausgesprochen, da stand urplötzlich auf dem Turme ein Greis vor ihm. Sein Gewand ist verschlissen. Wird und hart starrt der Bart. Siehst du auf Bart und Gewand: der Armen Ärmster dünkt er dich; blicke ihm aber ins Auge, gleich merkst du: Weiß er nicht, was du weißt, so sind ihm doch Dinge kund, die dir ewig verborgen bleiben.

          »Sende, Gaugraf, Knechte auf jene Wiesenflur. Laß sie die Ahornbäumchen fällen, laß dir die neun Stämmchen bringen. Du aber halte neun Wiegen bereit und bestelle neun Kinder- fragen, laß sie die Stämmchen schaukeln und wiegen vom ersten Stern bis zur Mitternacht. lst die Mitternacht da, so werden die neun Stämmlein Leben gewinnen, da hast du dann neun Gaugräflein in deinem Schlosse. Trage sie aber ja nicht unter Dach und Fach, hüte sie weder vor Tau noch vor Reif. Laß die Burschen aufwachsen bei Regen und Sonnenschein, denn sie sind Ahornstämmchen, die aus der Erde keimten.«

          Dies ordnet Großvater Wetterwart an, weil er weiß, wie Ahorne wachsen — was aber das Schloß eines Gaugrafen ist, das weiß er nicht! Ordnete also das Ding an, wie er's verstand — und verschwand von des Turmes Rand!

          Desselben Tages noch entsandte Gaugraf Jurina seinen Schloßwart mit den Knechten auf jene Wiesenslur. Und als die Knechte die neun Ahornbäumchen füllten, sagte der Schloßwart:

          »Hackt auch dieses kleine Buchenstämmchen ab, es soll mir als Axtstiel dienen.«

          Die Knechte hackten das Buchenstämmchen ab und trugen es nebst den Ahornbäumchen in des Gaugrafen Schloß.

          Als sie in das Schloß kamen, hatte Jelena, die edle Herrin, schon neun goldene Wiegen im Schloßparke aufgestellt. Die Ahornstämmlein verteilte man in die Wiegen und die Kinderfrauen begannen die Wiegen zu schaukeln. Sie wiegten und schaukelten immerzu, vom ersten Stern bis zur Mitternacht. Als es Mitternacht wurde, da nickten die Kinderfrauen ein wenig ein. Und als sie aus ihrem Schlummer auffuhren, da lagen neun Jüngelchen in den Wiegen. Wie neun rote Äpfelchen waren sie anzusehen.

          Vor übergroßer Freude weiß Jelena, die edle Herrin, sich nicht zu fassen. Und da sie die Gaugräflein nicht ins Schloß tragen darf, befiehlt sie, seidene Zelte über sie auszuspannen, um die Kinderchen vor Frost und Sonnenbrand zu schützen.

          »Hat man je Gaugrafenkinder aufwachsen sehen, daß nachts sie Tau betaut und tags die Sonne auf sie herabbrennt? Ahorn auf der Flur, Gräflein im Grafenschloß — ist nicht einerlei!« meinte Jelena, die edle Herrin.

          Noch in derselben Nacht erschien Großvater Wetterwart, um im Parke Nachschau zu halten. Und als er jene neun Zelte wahrnahm, war ihm alles, was er angeordnet hatte, auf der Stelle verleidet! Seit Urzeiten schaut er, wie dünnes Linnen auf dem Rasen zur Bleiche liegt, und hat sich noch nicht einmal daran so recht gewöhnt: schüttelt immer den Kopf, wenn Weiber irgendwo Linnen ausbreiten. Doch dies! — Nicht, wenn’s das Leben gälte, würde er unter ein Zelt eingehen, und da sind gar welche aus Seide! Mit Stickereien!

          »Für nichts und wieder nichts hab’ ich neun Ahorne drangegeben«, zürnt Großvater Wetterwart. »Leichter fiele es mir, einen halben Wald zu vergräflichen, als so ein Gräflein ins Taugras herauszubringen.«

          Großvater macht sich fort und kehrt zu den Gaugräflein auch nicht wieder zurück. Aber weil in jener ersten Nacht ihre Köpflein nicht betaut worden waren, blieben sie nackt und bloß. Doch im Gaugrafenschloß weifi man Rat für solche Blöße. Kalpak-Kappen von Seide fertigte man mir die Jüngelchen an, daß man ihre kahlen Köpfiein nicht sähe.

          Und die Kinder wuchsen heran und gediehen, alles Schloßgesinde hatte seine Freude daran. Nur eine schwarze Seele — Gott sei’s geklagt! — gab es, die sich ihrer nicht freute.

 

2.

 

          Als die Knechte damals dem Schloßwart die Stämmchen zugebracht und als man sie in die Wiegen verteilt hatte, war das zehnte, der dünne Buchensproß, übriggeblieben.

          Nahm der Burgwart das Buchenstämmchen und warf es dem alten Holzhauer zu, der dort unter dem übrigen Gesinde stand.

          »Daraus wirst du mir einen Axtstiel schnitzen«, sagte der Schloßwart. »Vertausch ihn mir aber ja nicht, alter Uhu du, ich werd' ihn, schau her, an dem roten Herzen erkennen.«

          Als der Holzhauer seine Hütte erreichte, zeigte er das Buchenstämmchen seinem Weibe und erzählte ihr, was sich im Grafenschloß zugetragen. Ohne ein Wort zu sagen, ging die Alte, die alles wohl verstanden hatte, in die Hütte, trug eine Mulde hinaus in den Mondenschein, bereitete darin ein Bettchen aus Stroh, legte das Buchenstämmchen hinein und begann die Mulde zu schaukeln. Sie wiegte, schaukelte und beschaute zugleich das Stämmchen in der Mulde, bis ihr um Mitternacht die Augen vergingen. Ein wenig nickte die Alte ein, und als sie aus dem Schlummer emporsuhr, siehe, da lag ein klein Jüngelchen in der Mulde. Klein war es wie eine Hand und rank wie eine Gerte. Verwundert über solch ein gewaltiges Wunder, rannte die Alte in die Hütte, um den Holzhauer zu holen. Als beide an der Mulde standen, sprach das Jüngelchen:

          »Trage mich nicht unters Dach, Großmütterlein! Laß mich auf dem Rasen im Monden- schein, daß der Tau mir die Glieder stärkt, die Nacht mir Händchen und Füßchen kühlt.«

          Nicht sattsehen können die beiden Alten sich an dem Jüngelchen, nicht satthören an den klugen Reden des Kleinen. Über alles lieb ist er ihnen, ihre Herzen schlagen, als wären sie wieder jung. Und so ließen sie das Bürschchen, wie es gewünscht, auf dem Rasen im Mondenschein schlafen. Wie in jener, so in jeder folgenden Nacht trug die Alte das Kind in der Mulde auf den Rasen hinaus.

          Und jede Nacht kam Großvater Wetterwart und sah nach dem Kleinen, kam bei herbem Frost wie bei Mondenschein, kam in stiller Nacht wie bei Sturm und Ungewitter — und immer hielt er Zwiesprach’ mit dem kleinen Kinde.

          Die Alte hatte den Kleinen Toporko — das heißt: kleiner Axtstiel — genannt, hätte doch aus jenem Buchenstämmchen ein Axtstiel werden sollen. Und alles war recht und schön, nur der Holzhauer lebte in schweren Sorgen.

          »Was nehm’ ich Elender jetzt zu einem Axtstiel her? «

          Der Holzhauer kannte den Schloßwart als bösen, hoffärtigen Menschen. Auch wußte  er, daß solch ein Buchenstämmchen mit einem roten Herzen sich nicht wieder finden ließe.

          Nun wachsen also die Gaugräflein im Schloßpark heran und Toporko bei dem Holzhauer und bei der Alten. Doch wie verschieden war jener Wachstum von dem des Kleinen!

          Die Gaugräflein, frisch und rosig, gediehen so, daß sie ihrem Vater bald an den Leibgurt reichten. Toporko hingegen bei der Alten ist klein, schlank und rank und gebräunt und hart dabei wie ein schwarzer, dreimal umgeschmiedeter Nagel.

          Der Gaugraf, dem das Herz vor Freude über die herrlichen Söhne schwoll, ließ um Park und Schloß eine Mauer aufführen, drei Klafter hoch, um die Kinder tagsüber vor Sonnenbrand, bei Nacht vor wildem Getier und anderem Übel zu schützen. Beim Holzhauer gab’s weder Mauer noch Zelt, nur der betaute Rasen lag vor der Schwelle und weiterhin wirres Gestrüpp. Und da Toporko seine Nächte auf dem Rasen verbringt, schnuppern Marder und Wiesel um sein Köpfchen herum.

          Der Gaugraf beschenkte seine Söhne mit neun kleinen Kappen und neun schlanken Lanzen, rief die besten Helden zusammen und ließ sie im Bogenschießen und Lanzenwurf unter- weisen. Und überdem rief er die klügsten Weisen herbei, damit die Kinder der uralten Bücher kundig würden.

          Dagegen strich Toporko von klein auf in Hain und Forst umher, spürte Mardern und Wieselchen nach. Schon am frühen Morgen trieb es ihn fort, erst abends pflegte er wieder- zukehren. Darum nannte die Alte ihn aus Zärtlichkeit ihr Landstreicherlein. Landstreicherlein Toporko wurde klüger von Tag zu Tag. Holzhauer und Alte und rings im Dorf Nachbar- und Gevatterschaft: alles wunderte sich darüber, woher diesem kleinen Geschöpf so viel Altklugheit käme. Holzhauer und Alte und rings im Dorf Nachbar- und Gevatterschaft, ihr wißt eben nicht, daß Großvater Wetterwart mit Toporko Nacht um Nacht Zwiesprach’ hält! Großvater Wetterwart aber besitzt just jene Weisheit, nach der Dorfleute fragen und von der Wald und Gebirge lebt.

          Mit der Zeit wuchs auch Toporko ein wenig heran. Da tat ihm einst des Nachts Großvater Wetterwart seine Herkunft kund, erzählte ihm auch, daß er neun Brüderchen habe, neun Ahornbäumchen, neun schmucke Gaugräflein, daß diese Ahorn—Gaugräflein und er, Toporko, der Sonnverbrannte, auf derselben Wiese Wurzel geschlagen hatten, aus demselben Bache getränkt worden waren.

          Kaum hatte Großvater seine Erzählung beendet, da schnellte Toporko freudig empor:

          »Wär’ das ein Glück für mich, könnt’ ich die neun Gaugräflein, meine Brüder, erblicken!«

          Großvater Wettetwart lacht, aber es ist ein unwirsches Lachen: »Schwerlich, Bursche, wirst du sie erblicken können! Dort im Schloßparke wohnen sie, aber rings und rings von einer Mauer umschränkt, die gut drei Armlängen hoch ist.«

          Unwirsch ist Großvater Wetterwart, denn er kann seine neun Ahornbäumchen, die man mit seidenen Zelten bedeckt und gar noch mit Mauern umgeben hat, nicht verschmerzen. Kämen sie ihm nur irgend einmal in die Hand, er wüßte, was tun! Wie Ahorn auf Bergen gezüchtet wird, darauf versteht er sich!

          Aber Toporko läßt dem Großvater keine Ruhe, bittet und beschwöre ihn, bis dieser nach- gibt und den Kleinen darin unterweist, wie er seine Brüder erblicken könne.

          »Der Steine siebenter an der Sonnenseite der Mauer, der ist der schmälste und schlecht eingefügt. Dort stehe, dort poche, dort rufe die Brüder an.«

 

3.

 

          Die Sonne stand im Mittag und im Gaugrafenschlosse lag alles im Schlafe, der Hitze wegen, nur die Gaugräflein führten ihre Rappen im Schatten unter der Mauer spazieren. Wie sie so der Mauer entlang hin und wider wandeln, hören sie plötzlich ein Pochen: Kuz! Kuz! schlägt es an den Stein. Verwundert horchen die Gaugräflein, legen das Ohr an die Mauer. Da tönt es von jener Seite:

          »Ihr meine neun Brüderlein,

          Öffnet ein Fensterlein!

          Mit den Füßchen stemmt euch an,

          Mit den Händchen drückt daran.«

          Verwundert sehen die Gaugräflein einander an. Nie noch war ein Laut von jenseits der Mauer zu ihnen gedrungen, nie noch hatten sie einen Blick hinüber geworfen. Sie lachten vor Freude hellauf und taten, wie ihnen geheißen: stemmten sich alle neun mit den Füßen an, drückten alle neun mit den Händen gegen den Stein, und so gelang es dem winzigen Toporko, der von außen half, bald, den gewaltigen Stein herabzuwerfen, und eine Öffnung, gleich einem Fensterlein, gähnte jetzt in der Mauer.

          Das gab ein seltsam Bild, als die Brüder sich durch die Mauer erblickten. Der außen stand, winzig und sonnverbrannt, der arme Toporko, hatte ein zottiges Pelzmützlein auf, über den Schultern das bloße Hemdchen; innen aber drängten sich, Kopf an Köpflein, die neun jungen Gaugräflein, frisch und rosig wie rote Äpfelchen, ihre Kalpak-Kappen sind in Seide gefaßt, ihre blauen Dolman—Mäntelchen mit Gold bestickt.

          »Warum nennst du uns Brüder?« fragten die Gaugräflein.

          »Wie soll ich euch nennen, da ich doch gekommen bin, um euch zu erzählen, daß wir dicht beieinander derselben Wiesenflur entsprungen sind und daß derselbe Bach uns gekränkt hat?« Und Toporko erzählte den Gräflein den ganzen Hergang. Die Gaugräflein nahm dies wunder, denn ihre Weisheitslehrer hatten sie allerlei gelehrt, von einer Wiesenflur aber hatten sie nichts gesagt. Und während sie darüber staunten, daß sie da außen in einer lebendigen Welt, die sie wenig kannten, einen Bruder in zottigem Pelzmützchen hatten, riß Toporko die Augen auf über die prächtigen kleinen, mit Silber gezäumten Rappen und die Schwebten der Grafenbrüder.

          Und so hätte das Sichverwundern und die Zwiesprache der Kinder schier kein Ende gefunden, da pfiff vom Schlosse her der Hundehüter den Rüden. Schleunig entfernten sich die Gaugräflein von ihrem Luginsland und flink schob Toporko den Stein an seine Stelle. Vorher aber hatten die Brüder sich das Wort gegeben, am Fensterlein Luginsland wieder zusammenzutreffen.

          Einen schönen Tag führte die nächste Morgenröte herauf. Einen schönen Tag, aber er brachte nichts Gutes. Die ganze Nacht hatten die Gaugräflein von Wald und Wasser und Wiesenflur, von Marder und Wiesel geträumt: von allem, worüber Toporko ihnen berichtet hatte.

          »Laßt uns unseren Vater, den erlauchten Gaugrafen, bitten«, sprachen sie zueinander, »daß er uns vor die Mauern des Schlosses führe. Wollen sehen, was es jenseits der Wauer gibt.« Nun fügte sich’s, daß eben an jenem Tage der Gaugraf einen Ritt durch den Gau unternehmen wollte. Dabei sollte ihn nach seinem Befehl der Schloßwart zu Pferde begleiten. Als aber die Söhne ihn mit der Bitte bedrängten, sie mitzunehmen, dachte der Gaugraf: »Herangewachsene Bürschchen! Es sei, ich nehme sie mit durch die Gaugrafschaft.«

          Gaugraf Jurina rief also den Schloßwart zu sich heran: »Höre mich, Schloßwart, du meine rechte Hand! Sattle du deinen Grauen nicht, sondern führe mir aus dem Marstall den besten Schimmel, den schönsten, den weißesten, her. Dem leg den umrandeten Sattel auf und bedeck ihn mit goldener Decke. Dann sattle mir noch neun wackere Pferdchen, die kleinen, die feurigen Rappen. Mit silbernen Sattelgurt gürte sie, mit seidenen Fransen ziere sie, führe Schimmel und Rappen mir vor!«

          Als der Schloßwart vernahm, daß der Gaugraf sein, des Schloßwartes, Pferd abbestellte und ihm anbefahl, die neun kleinen Rappen heranzuführen, da verzerrte der grüne Neid sein Gesicht.

          »Für wen den Schimmel? Für wen die Rappen?« fragte er, um zu Atem zu kommen.

          Nichts gewahrte der Gaugraf in seiner Freude. »Der Schimmel fein soll für den Gaugrafen sein, die Rappen klein für die neun Sangräflein. « So sprach er und vor dem Herrn gilt kein Widerspruch. Der Schloßwart verschloß seinen Groll und tat, was ihm befohlen. Und als der Gaugraf mit den Söhnen zu Pferde saß und die Knechte das Tor auftaten und über das Blachfeld der herrliche Held mit den neun Heldensöhnchen dahinflog: sah man Schöneres je? Lieber Gott! War’s nicht, als hätte der Mond das Siebengestirn am Himmel heraufgeführt?

          Im Nu lief die Runde um: Der Gaugraf kommt mit den Söhnen! Wo er erschien, drängte groß und klein sich hinzu. Frauen eilten herbei mit Kinderchen, Greise und Männer traten aus Tür und Tor. Hausväter und Knechte schalten sich aneinander. Frauen und Kinder jauchzten dem glänzenden Zuge zu. Greise und Männer verbeugten sich vor den Besuchern, Hausväter und Knechte nahmen die Kappen ab.

          All das sah der Schloßwart, der auf des Schlosses Zinne zurückgeblieben war, sah’s und sein Herzblut wandelte sich in Gift, der Blick der Natter trat in seine Augen.

          Hatte der Schloßwart doch sieh im Dienste des kinderlosen Herrn hohe Ehren erhofft und nun lassen Söhne den guten Grafen ein wie goldene Perlchen einen edlen Stein!

          »Fiel es bis nun dem Gaugrafen bei, zu reiten, war ich es, der neben ihm sein Pferdchen tanzen ließ. Erwiesen die Knechte ihm Ehrfurcht, so beugten sie sich auch mir. Küßten sie seines Mantels Saum, so berührten sie auch mein Gewand. Jetzt aber seht: Eh die Sonne sich zwei—, dreimal wendet, sitzen die Gaugräflein neben des Vaters Knie, zieren seine Tafelrunde, beraten ihn wohl auch bald, wenn er Gautag hält. Vom Schloßwart aber wird man nichts mehr hören!«

          Des Bösewichts Herz schwoll vor Wut, er schlug das Schloßtor zu, daß die Mauern erzitterten, überließ es den Knechten, den Gaugrafen zu erwarten, und begab sich ins Seiten- schlößchen.

          »Umkommen sollen die Gaugräflein, meiner Treu! Sollen’s von meiner Hand! Wenn nicht heute, so morgen, wenn morgen nicht, so wann es sein kann«, sagte der Schloßwart zu seinem Weibe.

          Darüber staunte die Frau keineswegs, hatte sie doch Tag um Tag durch ihre Reden den Mann dazu aufgereizt: »Diener und niemals mehr, mein Täuberich! « Oder: »Jung, dientest du einem Herrn, alt, wirst ihrer neun bedienen,«

          Der Schloßwart befahl also seinem Weibe, ihm die beste Axt herbeizubringen; diese tat es. Aber der Axtstiel daran war vermorscht. Da fiel dem Schloßwart jenes Buchenstämmchen beim alten Holzhauer ein.

          »Schau«, lachte der Bösewicht, »nie weißt du, wozu etwas gut sein kannt Manchmal bringt ein hölzerner Bruder die lebendigen Brüder um!« Der Schloßwart wußte nicht, was sich mit dem Buchenstämmchen ereignet hatte!

          Am selben Tage noch suchte er den alten Holzhauer auf. Der saß mit seiner Alten an der Hüttenschwelle. Angst überfiel ihn, als er den Schloßwart, finster wie eine Wolke, auf sich zukommen sah.

          »Eh, Faulpelz du, wo ist mein Buchenstämmlein? War’s etwa vor kurzer Zeit, daß ich es dir gab? Hast du es mir etwa verdorben?« schrie der Schloßwart.

          Schauer überliefen den Alten. »Da ist keine Rettung«, dachte er, stand auf, nahm die Kappe ab und wollte alles bekennen.

          Doch im letzten Augenblick drängte die Alte sich vor den Alten und trat auf den Schloßwart zu.

          »Heil dir, Herr! Dort  unterm Hüttendach liegt das Buchenstämmlein. Weißt ja —  bei deinem Wohlsein! –,  daß solch ein Holz  tüchtig austrocknen muß, willst  du eine harte Handhabe daraus erhalten! Doch bis morgen soll der Axtstiel fertig sein.«

          »Schnel1er ist deine Zunge, Weib, als die Hand deines Alten, der steht da wie aus Blei gegossen und schweigt wie ein Stummen. Sei’s drum! Bis morgen der Axtstiel! Aber daß du mir kein ander Holz unterschiebst! Ich würd’ es merken. Ein rotes Herz muß in dem Holze sein.«

          Der Schloßwart ging und der Holzhauer sagte zur Alten: »Wir sind verloren, Weib.«

          Die Armen kauerten sich an der Schwelle zusammen und sannen ihrem Unglück nach.

          Da, mit der Dämmerung, sprang Landstreicherlein Toporko aus dem Gestrüpp. Die Alten taten ihm alsogleich ihren Kummer kund. Toporko rückt sein Pelzmützchen schief in die Höh’, steckt die dünnen Händchen in die Taschen des schäbigen Schafpelzchens, spreizt die kleinen Beine und denkt nach. Lange denke er nach, dann sagt er mit einem mal:

          »Ei, meine Lieben! Damit kommen wir drei allein nicht zu Ende. Wartet hier, ich hole mir Rat bei einem Weiseren.« Und weg war Toporko; über die Wiesen hin durchs Gestrüpp verlor er sich in der Dämmerung.

          Der Holzhauer und seine Alte sitzen bekümmert da und warten ein gutes Teilchen. Schon geht der Mond auf. Da kommt Toporko in vollem Lauf auf sie zu. Hell ist der Mondenschein, hoch das Gras, und der kleine Toporko läuft auf dem ausgetretenen Prad daher wie ein Maus- lein durch eine Furche.

          ›»Keine Angst, meine Alterchen! « ruft ihnen Toporko zu. »Hier euer Buchenstämmlein! Mir ward ein Rat. Doch so du den Axtstiel glättest, nimm das Herz im Holze in acht, wenn ich dir lieb bin!«

          Der Alten aber warf Toporko sein Pelzmützchen in den Schoß. »Hüte mir, Großmutter, mein Pelzmützchen, damit ich etwas habe, worauf ich zurückkehren kann, wenn mein Dienst getan ist.« Dann nimmt er einen Anlauf durchs Gras, bückt sich rief im Lauf und — sahst du’s nicht? — Kopf voran überschlägt er sich auf dem Rasen, just vor die Alten hin. Und da, o Wunder, liegt vor ihren Füßen das Buchenstämmchen! Von Toporko keine Spur!

          Dem einen zuleide, dem andern zuliebe! Der Holzhauet greift auf der Stelle zum kürzen Beil und beginnt den Axtstiel zurechtzuhauen. Derweil bricht die Alte in Tränen darüber aus, daß ihr Trotzköpflien dahin ist. Weiß nicht, was sie vor Gram und Jammer beginnen soll, und herzt und küßt das zottige Pelzmützchen, das ihr allein geblieben ist.

          Noch am selben Abend hieb der Holzhauer den Axtstiel zurecht und trug ihn am andern Morgen zum Schloßwart. Und als dieser das rote Herz im Holz erblickte, sagte er: »Dein Bart in Ehren, Alter, du hast mir gut gedient!«

 

4.

 

          Nacht über der Gegend. Der Schloßwart nimmt die Axt unter die Achsel und begibt sich ins Grafenschloß, die Schlüssel trägt er im Gurt. Wer sollte die Schlüssel haben, wenn nicht der Schloßwart? Steht doch auf Dienertreue das Haupt des Herrn!

          Wie ein Schwan im Mondenschein blinkt vor dem Schlo0wart das Gaugrafenschlofi, wie ein Rabe schwarz, der auf Beute harrt, birgt sich das Seitenschlößchen im Schatten des Waldes.

          Im Schloßpark schlummern des Grafen Söhne, keiner ahnt, wer ihnen diese Nacht nach dem Leben trachtet.

          Schon ist der Schlolßwart dem Schlosse nahe, da fällt ihm bei, daß er die Axt mit dem neuen Stiel noch nicht erprobt hat. Wär sie zu übler Stunde nicht wohlbefestigt? Er wendet sich einer gefällten Eiche zu und schwingt zum Versuche die Axt. Wie der Schloßwart die Axt schwingt, da wendet und dreht sich der Stiel schier wie ein lebendiges Wesen. Wendet sich, wirbelt, zuckt zurück und der Rücken der Axt fährt dem Schloßwart an die Stirne. Es dunkelt ihm vor den Augen, die Axt entgleitet, löst sich vom Stiel, die Schneide fällt ihm auf die linke Hand und trennt ihm den Daumen ab.

          Vom Schlag an die Stirne betäubt, ist der Schloßwart rücklings ins Gras gesunken, weiß nichts von sich, stößt keinen Laut aus, liegt da wie ein Toter, den man einsegnen soll. Der Axtstiel aber, der sich losgelöst hat, überschlägt sich einmal und noch einmal, und wie er sich überschlägt, verwandelt er sich zurück in ein Jüngelchen.

          Gleich einem gefällten Eichenstamm liegt der Schloßwart da, und über ihm steht Toporko, gesund und munter, seine Äugelein blinkern wie die eines jungen Kätzchens im Mondenschein. Hierhin, dorthin schweifen Toporkos fröhliche Blicke, bis zu jenem siebenten Stein, dem Luginsland, dem kleinen Fensterlein. Toporko zieht den Stein heraus, kriecht durch die Öffnung, und nun eilt er von Zelt zu Zelt.

          »Laßt uns fliehen, Brüder, ist euch das Leben lieb!« Rasch werden die Gaugräflein wach und springen empor. Während sie sich ankleiden und die Schwerter umgürten, ergreift Toporko Zündschwamm und Feuerstein, legt Feuer an die seidenen Zelte. Dann führt er die Brüder zum Fensterchen und leise wie Fledermäuse huschen sie alle hindurch. Da stehen sie nun auf dem Rasen neben dem Schlosse.

          Stille Nacht, was gewahrst du?- Vor dem Schloß auf der Wiese neun Gaugrätilein wie neun Fliederzweige; als zehnter, barfüßig, Landstreicherlein Toporko. Uber der Wiese liegt Mondenschein. Inmitten der Wiese steht eine uralte Linde.

          »Treibt die Schwerter im Kreise rings um den Lindenstamm ins Gras«, sagte Toporko zu den Gaugräflein, »damit auch ihr etwas daheim habt, was euer ist.« Sogleich trieben die Gaugräflein ihre Schwerter ins Gras rings um den Lindenstamm und überdeckten, versteckten Sie.

          Hierauf sahen die Gaugräflein sich um: Was aber nun? Wohin? Nach welcher Seite?

          Nur Toporko hatte den Kopf erhoben und sich in den Himmel verschaut. Der Himmel ist rein, mit Sternchen besät, eine einzige Wolke schwebt über dem Turme.

          Durch die hohlen Hände ruft Toporko, damit der Schall weiter trägt:

          »Steige nieder zu uns, Großvater Wetterwart!«

          Und sich! Aus der Höhe laßt sich jene Wolke hernieder, auf ihr Großvater Wetterwart und um ihn neun kleine Wölkchen, neun grauen Möven gleich, und ein Nebelstreifchen, gleich einem Mäuseschwänzlein, als zehntes. Großvater Wetterwart befiehlt den Gaugräflein, sich auf die Wolken zu schwingen, Toporko reitet das Nebelstreifchen.

          Großvater Wetterwart stößt sich mit dem Fuße vom tauigen Grase ab, die Wolke trägt ihn in die Höhe, mit ihm auch jene neun Wölkchen samt ihren Reiterlein und dazu Toporko auf dem Nebelstreifen.

          Als sie schon hoch über dem Schlosse schwebten, sahen die Gaugraflein sich rings am Himmel und rings auf der Erde um. Sahen die Welt weit und breit ganz in Mondlicht getaucht und in der Ferne vor ihnen dunkelt ein Waldgebirge.

          Aber Großvater Wetterwart hatte sich schon in Bewegung gesetzt. Tat Seinen ersten Schritt-über eine Hälfte des Himmels- tat seinen zweiten Schritt-uber die andere hin – und beim dritten Schritt befanden sich alle zusammen auf dem Kamme des dunklen Waldgebirges.

          Während also der Schloßwart ein wenig zu sich kam und die Augen auftat, während schlummertrunken die Wache von den Zinnen des Schlosses Feuer ausrief, während Jammergeschrei um das Schloß erscholl, war Großvater Wetterwart mit seinem Geleite bei Mondenschein auf der Höhe des dunklen Waldgebirges angelangt. Im Schloßpark flammten die seidenen Zelte, eines nach dem andern wurde zu Asche, und Jelena, die edle Herrin, ging die Brandstätte ab, hob die geschwärzten Zeltbehänge empor, die wie versengte Falkenfittiche über der Asche lagen.

          Indessen steht Großvater Wetterwart unter den Kindern auf des Waldgebirges Kamm in einer tauigen Mulde. Die mit Gold bestickten Dolman-Mäntelchen glänzen im leuchtenden Mondenschein, in Toporkos sonnverbranntem Gesichtlein glitzern die Augen, und mit Großvaters zerschlissenem Gewande treibt der Nachtwind sein Spiel.

          Großvater Wetterwart und Toporko sind aneinander and an das Leben im grünen Waldgebirge gewöhnt. Nicht so die Gaugrätlein. Grolßvater Wetterwart und sein zerschlissenes Gewand und sein wirrer Bart, der ungekämmte, befremdet sie. Aber befremdlicher noch dünken Großvater Wetterwart diese Gaugräflein mit dem Silbergeflitter auf ihren Kalpak–Kappen und den goldenen Fransen der Dolman-Mäntelchen.

          Mutig und aufrecht stehen die Gaugräflein da, klaren Auges und heldischen Blickes, und schauen Großvater Wetterwart geradeaus ins Gesicht. Dieser verwundert sich, daß solche prächtige Bürschchen unter seidenen Zelten hervorgekommen sind!

          »An dem Jungwuchs da ist nichts auszusetzen. Scharfäugig sind sie. Gutes Holz und guter Stolz«, denkt er. Dennoch will es ihm nicht zu Sinn, daß Burschen mit silbernem Federbusch etwas taugen könnten. Mißtrauisch mißt er ihren so reichen Schmuck. »Kahlen Kopf deck der Kalpak; wer weiß, wie es ums Herz unter goldenem Dolman bestellt ist?« fragt sich Großvater Wetterwart.

          »Bei mir«, sagt er den Kindern dann nach kurzem Besinnen, »werdet ihr in der Lehre sein so lange mir's beliebt. Es gilt sieben Weistümer zu erlernen, von denen ihr nie gehört habt.«

          Toporko schaut sich den Großvater an. Er kennt sich aus in ihm und dem Kleinen gefällt etwas an Großvaters Miene nicht. »Das sieht mir nach nichts Gutem aus«, denkt er. »Den goldenen Troddeln und schmucken Kalpak-Kappen ist Großvater nicht grün!«

 

5.

 

          So war es auch. Wahrlich kein leichtes Leben führten die Kinder bei Großvater Wetterwart. Der schlief in der Höhle auf hartem Gestein und die Gaugräflein  und  Toporko  mußten sich um ihn lagern, wo es gerade Platz gab. Mittag— und Abendmahl gab es beim Großvater nie, weil ein Hungriger früher aufsteht — und so mußten auch seine Lehrlinge hungrig zur Ruh’. Und am Morgen reicht er jedem ein Fäustchen Haselnüsse; sich nimmt er, was zwei Hände zusammen fassen, und das ist ihre Speisung über den ganzen Tag. Haben sie die verzehrt, dann läßt sich Großvater auf seine Weise mit ihnen vom Waldgebirge herab — bis hin zu jener fernen, kleinen Wiesenflur, von der man das Schloß sieht.

          Dort heißt’s tüchtig Arbeit tun: Hier schöpfe Wasser im Sehöpfeimerchen, dort steig mit dem Nebel auf, fache die Morgenkühle an, streue ringsum den Tau aus! Aber sehen solltest du, wie weithin diese Gaugrafschaft sich erstreckt! Was alles darin grünt und wächst! Und alles hängt an Großvater Wetterwartl Und noch reicht die Arbeit nicht zu, so daß Großvater die Kinder über den Himmel ausschickt, um Wege durch die Wolken zu bahnen, damit die Sonne über der Gaugrafschaft leuchten kann.

          »Lernt mir, gräfliehe Lehrlinge! Schwere Müh’ mit einer Gaugrafschaft, die sich so weithin erstreckt!« spricht Großvater Wetterwart und lacht sich in den Bart.

          Schwer die Morgenmüh', noch schwerer die Abendarbeit. Gilt’s, sich so früh zu erheben, daß du den ersten Vogel im Neste weckst, so darfst du dich, wenn es dunkelt, nicht nieder- legen, eh auch das unscheinbarste Gräschen zur Ruh’ gebracht ist. Alles lehrt Großvater seine Lehrlinge: wie du auf den Wolken fliegst, wie sie hinlenkst zu jener Wiesenflur. Durch das weite Waldgebirge läßt er sie wandern, läßt sie mit den Wolken im Luftmeer reisen und kreisen. In einem nur unterweist sie der Großvater nicht. Schlau ist er, will sie nicht lehren,  wie man von der Wolke herab auf die Erde kommt, wie auf dem Rasen landet.

          Das aber ginge noch an, hätte Großvater Wetterwart nicht eine arge Gewohnheit. Fährt er des Morgens vom Berge zu Tal, so achtet er nicht auf Lichtung und Wegesrichtung, sondern läßt sich vom Nebel treiben, auf dem er sitzt, und mit dem Nebel, wohin der zieht: durch dick und dünn, über Wald und Wand. Daher ist es ja so zerschlissen, Großvaters Gewand! Daher ist sein Bart so zerzaust! Und als am ersten Morgen die Kinder mit ihm durch die Baumkronen brachen, da nahmen die Zweige der Gaugräflein Kalpake fort: blieben die

          Gaugräflein kahl, ihres Kopfschmuckes bar. Und als sie der Nebel am nächsten Tag durch Dorngesirüpp trug, rissen die Dornen ihre blauen Dolman- Mäntelchen ab: blieben die Gaugräflein im bloßen Hemdchen. Am dritten Tage, als es über die Felswand von Zacke zu Zacke ging, verloren sie ihre glänzenden Stiefelchen. Und als gar am vierten Tage ein feiner Regen einfiel, wuchsen den Gaugraflein Haare bis an die Schulter. Nun könnte kein Lebender sie als dieselben erkennen: barfuß und barhaupt, wie sie sind, Haaren bis an die Schulter!

          Die Gaugräflein, Sprossen adligen Stammes, klagen und jammern nicht. Haben’s von niemand gelernt, auch ziemt es dem Herrensohn  nicht, sich zu beklagen. Sie haben sich Gürtel aus Bast geflochten und ihre Hemdchen damit gegürtet und warten darauf, mit Toporko an ihre Tagesarbeit zu gehen.

          Großvater Wetterwart sieht sich die Gaugräfl ein an — sieht sie sieh lange an.

          »Da habt ihr«, sagt er ihnen dann, »das erste Weistum erlernt. Noch, meine Lerhlinge, ist es weit bis zum siebenten!«

          Toporko juckt’s in der Kehle. Reden möchte ef, darf‘s nicht. »Allzu alt bist du, Großvater Wetterwart«, denkt er bei sich. »Siehst du Armer denn nicht, daß sie in einem Weistum gleich alle sieben erfassen, da sie barfuß und barhaupt sind und sich nicht beklagen?«

          Denkt aber Toporko oder denkt er nicht, es bleibt doch alles so, wie’s der Großvater haben will. Und die Gaugräflein fahren fort, als ware das nichts, mit Toporko Wege durch die Wolken zu bahnen. Es gilt auszuharren, da hilft nichts, das sehen sie ein.

          Toporko, der Struwwelkopf, ist anderer Meinung. Ihm tun die Brüder leid. Solche Mühsal sind sie nicht gewöhnt und es ist ihrer kein Ende abzusehen. Denn Toporko weiß, daß der Großvater hartköpfig ist. Seinen Bart, der hundert Jahre schon keinen Kamm gesehen, wirst du leichter durchkämmen, als das Mißtrauen wenden, das er gegen jemand gefaßt hat.

          »Geht es dir übel, dann warte nicht, bis sich dir ein großes Tor auftut, sondern schlüpfe auch durch eine kleine Tür«, denkt der sonnverbrannte Toporko. Und während er, klein wie er ist, mit den Brüdern, denen er kaum an die Schulter reicht, Wege bahnend den Nebel tritt, flüstert er ihnen zu:

          »Keine Angst, meine neun Brüderlein, aus dieser Knechtschaft will ich euch wohl entführen!«

          Leicht war das freilich nicht. Weitab liegt das Gaugrafenschlolß — Vom Waldgebirge zur Burg erstreckt sich die Ebene, flach wie die Hand, eine Tagreise weit. Entflöhe Toporko mit den Gaugräflein, holte Großvater Wetterwart sie nicht leicht  mit den Weitschritt–Opanken ein? Ließe er sich nicht aus den Wolken auf sie herab wie der Habicht auf eine Maus? Und wäre selbst das Glück ihnen hold und sie entkämen, wie könnten sie wieder ins Grafenschloß, wo der Schloßwart, der Bösewicht, jetzt wohl noch lebt?

          All das überdenkt Toporko. Dennoch will er sein Glück versuchen. Erführe er Großvater Wetterwart, wie man aus der Wolke auf ebenes Land herabkommt!

          Eines Tages also, zur Mittagszeit, da alles Gewächs ruht und das Sieh im Schatten liegt, setzt sich Großvater Wetterwart ins Buchenhölzchen an eine Mulde. Das Bergland still wie eine Mädchenseele. Pfade und Holzschlag fern, denn Großvater weicht den Wegen der Menschen aus. Sitzt also Großvater da, kühlt sich im Waldesschatten und die Gaugräflein sind eingeschlafen, der unterm Haselstrauch, der im Farnkraut. Nur Toporko leistet Großvater Gesellschaft, spricht mit ihm, damit die Zeit vergeht. Unter anderem sagt Toporko: »Wie kommt’s, Großvater, daß du uns alles lehrst, nur das eine nicht, sie wir ohne dich aus den Wolken aufs Gras herabkommen? lst dir bange, daß wir dir entfliehen? Hast ja doch deine Weitschritt-Opanken! Waren wir am Ende der Welt, du holtest uns ein.«

          »Rede nicht dummes Zeug, Landstreicherlein Toporko! Wollt’ ich’s dich auch lehren, es hülfe euch nichts, denn euch fehlt, was dazu gehört.«

          »Tut nichts, erzähle mir’s doch, damit uns die Zeit vergeht«, erwiderte Toporko. Großvater Wetterwart läßt sich täuschen und so, im Schatten liegend, erzählt er Toporko, sie könnten schon ohne ihn zur Erde herabgelangen, fände sich irgendwo etwas, das ihnen eignet, woran sie sich festzuhalten vermöchten, während sie auf der Wolke über die Erde hinschweben.

          »Wo aber finde sich etwas, das euer eigen ist, zehn Mann hoch über der Wiesenflur«, lacht Großvater Wetterwart — und dabei lüpft sich und hüpft sein Bart.

          »Fragte ja nur des Zeitvertreibs wegen! Eins aber bitt’ ich dich, wie man den eigenen Vater bittet: Laß mich heut in die Haselnußhecken! Ich pflücke dir zwölf Rindenmäßlein voll. Dir, Großvater, die Hälfte davon, uns zehn Kindern die andere Hälfte. Weil es uns Lehrlinge gewaltig hungert. «

          Alt ist Großvater Wetterwart, vieles weiß er und viel vermag er, aber wer ist unter uns ohne Schwäche! Die seine ist, daß es ihn, der vom Walde lebt, stets nach Haselnüssen gelüstet. Wald und Wetterwart sind lange schon miteinander vertraut; hat ihm aber der Wald all seine Weisheit geschenkt, so hat er ihm doch nicht seine Schwächen verziehen!

          Großvater zögert erst, doch kann er nicht widerstehen. »Geh meinetwegen«, sagt er zu Toporko, »doch daß du mir wiederkehrst, eh der Mond heraufkommt. Hüte dich, Bürschchen, mir zu entwischen, weißt selbst, daß es um deinen Kopf geht. «

          »Wohin, Großvater, könnte, ich dir entwischen? Schau doch: Größer sind meine Füßchen kaum als im Walde die Nadeln am Fichtenbaum! Lief‘ ich ein Jahr lang, ich winziger Wicht, käm' ich zu Schloß und Hütte doch nicht.«

          Toporko nahm also die Rindenmäßlein und verbarg sie in den Haselnußhecken; dann suchte er den Pfad auf, der durch den Bergwald zog, stellte sich dort auf einen Baumstrunk und wartete, ob jemand vorüberkäme.

 

6.

 

          Das Gaugrafenschloß hatte sich in Trauer gehüllt. Als in jener Nacht die Zelte abgebrannt waren, berief Gaugraf Jurina, der sich sonst nicht zu helfen wußte, die Weisen, Richter und Zauberer seiner Grafschaft.

          »Erforscht mir der Dinge drei, treue Diener mein: Wohin verschwanden meine neun Gaugräflein? — Wie gebieten die seidenen Zelte in Brand? — Wo hat der Übeltäter sich hingewandt?«

          Über die Brandstatt zeigten die Weisen sich, holten ein Fräustchen Asche hervor und steckten sich Weisheitsbrillen an. Gewichtige Bücher öffneten Richter und Zauberer und begannen kleine und große Schriftzeichen zu buchstabieren. Schweigend harrten alle umher ihres Spruches.

          Hierauf ließen die Weisen sich also vernehmen: »Verbrannt sind deine Gaugräflein. Sieh hier gerade die Asche vom kleinen Finger des ersten. Selbst ihre Nägelchen sind wir zu zählen imstande.«

          Nach ihnen erhoben die Zauberer sich von den Stühlen: »Der Schicksalsfrauen Spruch hat ihnen Feuer beschieden. Darum ist Feuer aus der Erde hervorgebrochen, hat deine Gaugräflein verzehrt«, sprachen die Zauberer und warfen die Mäntel über die Schultern zurück.

          So die Zauberer, anders die Richter, denn es herrschte ein arger Zwist zwischen ihnen.

          »Ist kein Feuer aus der Erde hervorgebrochen, sondern ein Übeltäter hat es gelegt, der aber ist entkommen ins neunte Reich und du wirst ihn niemals erlangen«, entschieden die Richter, straften die Zauberer durch schräge Blicke und klappten ihre gewichtigen Bücher zu.

          In lautes Wehklagen brach alles Ingesinde des Schlosses aus, einer wehklagte lauter stets als der andere, am lautesten aber der Schloßwart, die schwarze Seele, um sich dem Gaugrafen wert zu machen. Auch trug der Übeltäter die linke Hand am Busen verborgen: »Damit mir die Trauer das Herz nicht zersprenge! « sprach er. Dabei war’s die Hand, an welcher der Daumen fehlte.

          Aber der Gaugraf fand von diesem Tage an nirgends Ruhe. Vom frühen Morgen bis spät in die Dunkelheit ritt er über Berg und Tal, ob er so nicht sein Leid verwände.

          So war er auch an jenem Tage ins ferne dunkle Waldgebirge geritten, hatte es durchkreuzt und durchquert, um nun trauernd heimwärts zu kehren. Eben ritt er den Pfad entlang, der abwärts führte, da — auf einem Baumstrunk — sah er ein Geschöpfchen stehn, klein wie eine Grille. Hat die Ellbogen ausgestemmt, hält das Köpfchen schief. Wie der Gaugraf naht, ruft der kleine Wicht:

          »Wünsch’ dir Gesundheit, Gaugraf!«

          »Dank, du Knirps! « antwortet der Gaugraf und wundert sich, daß solch ein Jüngelchen ihn so keck begrüßt.

          »Scheinst mir aber recht traurige, bemerkt Toporko und kneift die Äuglein ein.

          »Wohl, doch was kümmert’s dich?« fragt der Gaugraf noch mehr verwundert.

          »Möchte dir helfen! Du gibst mir einen halben Sack Haselnüsse zum Lohn. «

          »Die halbe Gaugrafschaft gäb’ ich dir«, antwortet der Gaugraf und dazu seufzt er schwer, da ihm doch niemand zu helfen vermag.

          »Setz mich auf dein Pferd vor dich hin. Haben denselben Weg. Aber treib dein Pferd gut an, denn ich Armer trage den Kopf im Sack.«

          Da hob Gaugraf Jurina Toporko in den Sattel und trieb sein Pferd dem Schlosse zu. Unterwegs sagte Toporko:

          »Frage nichts, aber befiehl, daß sich morgen zur Mittagszeit alle die Deinen auf dem Platz unter der Linde zu einem Gautag versammeln, daß aber keiner eine andere Waffe mit sich führe als seine Axt. Doch darf kein Stiel an der Axt sein. Ich komme zum Gautag, du aber versuche jenen Stiel, der dir aus mir wird, an jeder Axt. Paßt mein Stiel an eines Höflings Axt und fehlt diesem der linke Daumen, so wisse: Der ist’s, der deinen Gaugräflein Übles getan. Und bringe ihn ja um den Kopf, wenn du deine Söhne wieder haben willst. «

          Wohl scheint es dem Grafen verkehrt, daß solch ein Wichtlein ihn lehren will, was ex zu tun habe. Aber wenn du in heillosem Unglück bist, wirst du da nicht auf jeden hören? Er verspricht also, nach Toporkos Weisung zu handeln.

          So kamen sie zum Schloß. Kaum vom Pferde gestiegen, befahl der Gaugraf seinem Truchseß, Toporko einen halben Sack Haselnüsse aus seinem Garten zu geben, und Toporko bat noch, man möge den Sack verbinden und des Gaugrafen Siegel daraufdrücken. Als dies der Truchseß getan, sagte Toporko:

          »Erlaube noch, erlauchter Graf, daß ich auf diesem Siegel ins Waldgebirge zurückreite. « Der Gaugraf lachte, nahm es für einen Scherz und gab dem Wicht die Erlaubnis, auf seinem Siegel zu reiten. Toporko dankte, lud den Sack auf den Rücken und lief aus dem Schlosse zur Hütte des Holzhauers hin. Ein schöner Abend war’s und die Alte ging durch ihr Flachsfeld, um nachzusehen, ob die Dürte ihm nicht geschadet habe. Toporko bemerkt sie, läßt den Sack am Feldrain, schleicht durch den Flachs zur Alten und wie diese sich bückt, um den Flachs zu besehen, flüstert er aus dem Feldbeete gleich einer Grille:

          »Schweige, Großmutter, sage niemand ein Wort, aber morgen vor Tau und Tag komm auf die Wiesenflur und nimm mein Pelzmützchen mit, das kleine, das meine. Dort auf der Wiesenflur steht ein Feldahorn, von allen der höchste. Auf den steige, Großmutter, steige so hoch du kannst, wenn ich dir lieb bin! Du wirst mich auf einem Nebelstreif kommen sehen und mit mir andere neun auf neun Wölkchen. Wenn wir herbeischweben und mit dem Wind beim Feldahorn vorübertreiben, dann reiche mir schnell mein Pelzmützchen herauf. Und habe ich es erfaßt, dann laß es ja nicht los, sondern ziehe aus Leibeskräften daran.«

          Der Alten Herz hüpft vor Freude. Sie hört und erkennt die Stimme ihres Landstreicher leins, das aus dem Flachs zu ihr spricht. Wie sie sich aber dreht, um ihn zu erblicken, ist weit und breit niemand da, nur über den Flachs hin läuft's wie ein rascher Strich- es sind die Spitzen des Flachses, die dort erzittern, wo Toporko sich durch die Feldfurchen schleicht. Gleich errät das die Alte und sucht nicht mehr nach Toporko.

          Die Alte zweifelte nicht einen Augenblick. Sie glaubte ihrem Trotzköpfchen, überließ ihren Flachs der Dürre- mag er sich helfen, dachte sie, wie er kann -, lief ins Haus und suchte das zottige Pelzmützchen hervor, um es am Morgen gleich bei der Hand zu haben.

          Toporko schlüpft durch den Flachs wie ein Rebhühnchen, lädt am Rain seinen Sack auf und eilt zum Marstall des Grafen.

          »Sich hier, auf dem Sack, des Gaugrafen Siegel«, sagte er dem Marschalk. »Er hat befohlen, daß du mir das schnellste seiner Pferde gibst, damit ich noch diese Nacht den Sack dorthin bringe, wo er ihn haben will.«

          Nun, was vermagst du nicht alles mit eines Gaugrafen Siegel? Der Marschalk, der das Zeichen seines Herrn erblickt, glaubt dem Knirps und führt ihm das schnellste Pferd vor. Setzt den Kleinen sogar in den Sattel, reicht ihm den Sack und eifert das Pferd mit der Peitsche an. Hei, wie fliegt Toporko auf dem Renner dahin, hält sich an der Mähne fest, fliegt dahin, auf das dunkle Waldgebirg zu wie ein Federchen im Winde. Unterwegs treibt er das Pferd noch an, treibt es an.., das arme Wichtchen fürchtet, zu spät zu kommen.

          Der Mond ist am Aufgehen, als er an den Fuß des Waldgebirges kommt. Er springt vom Pferde, stölßt's mit dem Fülßchen weg, es gehe, wohin es mag. Er selbst rennt den Pfad hinauf. Dort in den Haselhecken findet er die Rindenmäßlein, füllt sie mit des Gaugrafen Haselnüssen, wirft den Sack fort und just wie der Mond über der Mulde erscheint, ist Landstreicherchen Toporko zur Stelle.

          »Guten Abend, Großvater! Hier Haselnüsse, wie du noch keine sahst.«

          Gleich kam Großvater Wetterwart ein Gelüsten an und als er solche Haselnüsse erblickte, vermochte er nicht, bis zum Morgen zu warten, sondern sprach zu den Kindern:

          »Ei, meine Lehrlinge, laßt uns einmal auch zu Abend essen, auf daß ihr den Tag nicht vergeßt, an den ihr euer erstes Weistum erworben habt.«

          Sie setzten sich also im Kreis an der Mulde nieder und hielten Mahlzeit. Doch Toporko hatte die Gaugräflein belehrt:

          Knabbert drauf los, aber eßt nicht, damit wir am Morgen nüchtern das Morgenrot hintergehn!«

          Großvater nahm seine sechs Mäßlein auf den Schoß und die Lehrlinge setzten sich je zwei und zwei um ein Mäßlein, und als sie zu knabbern und die Nüsse aufzuknacken begannen, sprangen alle Eichkätzchen auf in ihren Nestern und führten ihre Jungen auf die dünnsten Duchenästlein heraus, neugierig, zu sehen, wer da so nach Herzenslust knabberte und Nüsse aufknackte in tiefer Nacht und bei Mondenschein?

          Noch hatten die Lehrlinge je zwei und zwei nicht die Hälfte ihres Mäßleins geleert, als Großvater Wetterwart schon seine sechs vor sich gebracht hatte — solche Zähne, Brüderchen, hat Großvater Wetterwart!

          Nach dem süßen Schmaus lachte Großvater vergnügt und sprach zu Toporko:

          »Du taugst etwas, Bürschchen, Landstreicherlein Toporko. Nie hab' ich all mein Lebtag Haselnüsse von solcher Süße im Bergwald gefunden!«

 

7.

 

          Die Haselnüsse führten Großvater Wetterwart schön hinten Licht! Da ihn der Hunger nicht plagt, träumt’s ihm in der  Vorfrühe,  es sei  erst  Mitternacht.  Großvater  schläft somit, wie sich’s um Mitternacht schläft, wo doch schon die Morgenröte im Anzug ist. Die Lehrlinge hingegen hatte lange vof Tau und Tag der Hunger geweckt. Einer nach dem andern war aufgestanden und leise aus der Höhle and die Mulde geschlichen.

          Ein weißer Morgen, weiß wie ein Taubenflügel, und weiche Nebel ziehen über die Lichtung, weißwolligen Schafen gleich. Ohne Zögern Singt jeder der Gaugräflein sein Schäfchen ein, auch Toporko — jeder setzt sich auf seinem Nebelschäfchen zurecht und stößt sich vom Berge ab, und wie Großvater sie’s gelehrt, pfeifen sie einen guten Wind herbei, der ihren Zug zusammenhält und eines an das andere bindet. Von einem andern Kamme weht denn auch ein guter Wind und trägt die Kinder über das Berggelände hinab.

          So schwimmen sie, Bruder, schwimmen! Und nie gab es einen schöneren Augenblick, als wie sie so über die Ebene kamen und sich auf jene kleine Wiesenflur zu treiben ließen.

          Und auf der Wiesenflur, auf des hohen Feldahorns höchstem Ast, sitzt schon seit tiefer Nacht Großmutter, wartet und wacht. Schaut nach dem Frührot aus wie ein Erfrierender nach der Sonne. Und wär’s nach dem Frührot! Aber nach Toporkos Struwwelkopf schaut sie aus! Und eben hat die Alte aus jener Höhe den Stamm gemessen und sich zu fragen begonnen:

          »Was hat mich Alte denn auf diese Höhe gebracht?«

          Da sieht sie von ferne her eine Wolke schwimmen, zehn Wölkchen in einer Wolke! Das rosige Frühlicht läßt die Wolke erglühen und in ihrem Schein erblickt sie zehn rosige Kinder- lein, als wären’s Erdbeeren, alle in einer Reihe. All ihre Bedenken vergaß die Alte und es war noch ein Glück, daß sie aus lauter Freude nicht vorn Baumwipfel sprang!

          Schwimmt die Wolke so auf die Großmutter zu, und wie sie nahe dem Wipfel vorüberstreikt, da streckt euch Großmutter jenes Pelzmützchen in die Höh’, so hoch sie reichen kann. Und hurtig erfaßt Toporko sein liebes Pelzmützchen, da weichen die zehn Wölkchen aber, als wären sie eins, zurück, weichen zurück, wollen mit dem Winde von dannen. Aber Großmutter hält zäh, was sie hält, noch zäher hält Toporko, am zähesten aber hält sich das Pelzmützchen zwischen ihnen. Einen Augenblick oder zwei ringt Großmutter mit dem Winde. Doch Großmutters Mut gibt nicht nach. Sie zieht, zieht aus Leibeskräften. — Als hätte ein Wunder die Wolke besiegt, schien sie auf einmal der Kinder Gewicht zu spüren, ließ sich jäh aufs Gras herab und riß das Pelzmützchen samt der Alten mit sich. In einem Nu, als klatschest du Hand gegen Hand, puff! sitzt die Alte im grünen Gras und um sie herum alle zehn Kinderlein. So fällt eine reife Kastanie vom Stamme und streut ihre Stachelschälchen u m sich herum!

          Kaum sitzen sie, so reicht jenes leichte Gewölk unter ihnen weg und fliegt leer in die Höhe wie Flocken, in die man bläst.

          Mit argem Puff war die Alte auf harten Boden zu sitzen gekommen, mit argem Puff auch die Kinderlein. Doch da sich ihr Herzenswunsch erfüllt hatte, war’s ihnen allen, als hätten sie nie einen weicheren Sitz gekannt. Vor Lieb’ und Freudigkeit weiß keines recht, wen es zuerst umarmen soll: Toporko sein Großmütterchen oder Großmütterchen ihren Toporko oder ein Gaugraflein das andere Gaugraflein, denn schon erblicken sie vor sich das Gaugrafenschloß! — Ist es auch fern, so doch auf demselben Blachfeld mit ihnen!

          Wenn du glücklich bist, so eilt auch die Sonne, du brauchst ihr nicht erst den Weg zu bahnen! So strahlte auch hinter jenen die Sonne auf und beschien die Alte mit dem munteren Völkchen um sie, das noch im Grase saß.

          Die Sonne gemahnte Toporko daran, daß die Zeit nicht schläft: »Laßt uns eilen «, sagte er, »der Gaugraf erwartet uns. Hat seinen Gautag einberufen und kann nicht Gautag hatten, Großmutter, oh ne dich!«

          »So was noch zu erleben! ‹ rühmt sich die Alte, rückt ihr Kopftuch zurecht, damit es besser stehe, und rennt übers Blachfeld, um ja nicht zu spät auf den Gautag zu kommen. Und hinter ihr rennen die Kinderlein wie Rebhühnchen hinter der Henne.

 

8.

 

          Gaugraf Jurina sitzt unter der Linde auf silberbeschlagenem Stuhle, der ist auf zwei Stufen erhöht, die mit Samt belegt sind. Neben dem Gaugrafen hält sein Knappe, der ihm beim Gautag zu diesen hat. Zehn Schritte vor dem Gaugrafen hat das ganze Schloßgesinde sich aneinandergereiht, dazu die Höflinge — und alle verharren in ehrfüchtigem Schweigen.

          Gaugraf Jurina ist nicht daran gewöhnt, Gautag abzuhalten ohne Waffen und Ritter, ohne Edelleute und Kriegsplan. Er ist übel gestimmt. Dazu hat jene Trauer sich um sein Herz gelegt wie die Schlange uni einen Ast; doch je trüber es ihm zumute ist, desto aufrechter halt er sich. Denn trägt der Gaugraf sein Leid vor Gesinde und Knechten zur Schau, wer soll dann in der Gaugrafschaft die Zügel führen?

          Da sieht der Gaugraf eine arme Alte auf sich zukommen, Kinderchen hinter ihr — lauter arme, halbnackte Waisen. An sie sich der Versammlung näherte, blieben die Kinder zurück, nur eines, das kleinste, ergriff der Alten Hand und trat vor den Gaugrafen.

          Da ward es hell in des Gaugrafen Seele, als er unter dem zottigen Pelzmützchen jenen winzigen Wicht wiedererkannte.

          »Eh, zu diesem Pelzmützchen habe ich doch ein wenig Vertrauen «, dachte der Gaugraf bei sich. »Alles andere hat nicht Probe gehalten. «

          Herangekommen, beugten Toporko und die Alte ihre Knie vor ihm.

          »Da bin ich, Gaugraf, wie wir’s besprochen haben«, sagte Toporko, »und hab’ meine Großmutter mitgebracht, denn auch ich brauche jemand, der mir am Gautag zur Hand ist. Aber eine Gnade erbitt’ ich mir noch. Sieh, meine Brüder dort bitten dich, ihren Herrn, um Erlaubnis, aus dem Hintergrunde zusehen zu dürfen, wie da Gautag gehalten wird. «

          »Solch einen Gautag hab’ ich noch nie gehalten, wo Großmütter und kleine Züngelchen mittun«, lachte der Gaugraf bei sich. Doch ist des Gaugrafen Herz zur Milde geneigt, und da er sieht, daß es arme Kinder sind, mit Bast gegürtet und struppig wie Tierlein des Waldes, gewährt er ihre Bitte. Und wie es Barfüßigen und Unmündigen ziemt, umgingen die Kinder die Versammlung der Großen und stellten sich hinter des erlauchten Grafen Stuhl um den Lindenstamm. Dort aber im Grase, rings um den Lindenstamm, schimmert es silberfarben unter Laub und dürrem Gerank. Wer’s verstünde, fände dort Schwertgriffe, einen neben dem andern, ihrer neun.

          Toporko nimmt sein Pelzmützchen ab, reicht 's der Alten und sagt:

          »Nur du, Großmutter, verstehst es, mir das Pelzmützchen zu bewahren, und hast gesehen, was es uns wert ist.«

          Die Alte nimmt das Mützchen und Toporko tritt vor den Grafen hin.

          »Nun ist’s Zeit!« schreit Toporko, tut einen leichten Sprung, überschliigt sich in der Luft — und eh du mit der Wimper zuckst, liegt auf dem roten Samt zu des Gaugrafen Füßen ein Axtstiel, neu, gut zubehauen. Der Knirps ist verschwunden.

          Starr vor Verwunderung steht das Schloßgesinde. Auch der Gaugraf würde über das Wunder staunen, aber jedes Wunder will seine Zeit, und dem Gaugrafen obliegt es, auszuführen, was er mit Toporko verabredet hat.

          So befiehlt also der Gaugraf dem Knappen, jenen Axtstiel aufzunehmen und, von Mann zu Mann gehend, damit zu versuchen, für wessen Axt der Axtstiel gearbeitet ist. Niemand weiß, was daraus werden soll, und der Knappe geh t von einem zum andern.

          Der Stiel ist groß, in das Öhr keiner Axt will er passen; wie er aber zur Axt des Schloßwartes kommt, fährt er gleich hinein und sitzt wie angegossen: für diese Axt, das sieh t man, ist er gemacht. Der Knappe weist die Axt dem Gaugrafen vor:

          »Es ist des Schloßwartes Axt, erlauchter Graf.«

          Wie von Schwertesschlag fühlt sich der Gaugraf getroffen. Er befiehlt jedoch seinem Knappen nur, Axt und Stiel wieder zu trennen, da jeder an diesem Gautag ohne Waffe sein müsse.

          »Tretet zurück«, sagt er dann zu Höflingen und Ingesinde. »Einzig der Schloßwart trete heran.«

          Die linke Hand am Busen, nähert der Schloßwart sich. Hinter des Gaugrafen Stuhl lugen neun struppige Köpflein hervor. Klare Augen, scharfe Blicke, ihnen wird nichts entgehen.

          »Ziehe die Hand aus dem Busen«, sagt der Gaugraf, »damit wir sehen, was für ein Herz du verbirgst«, — und Seine Augen sind furchtbar wie die des Adlers, wenn ihm eine Schlange naht.

          Aber furchtbar auch, wie die eines Luchses, der sich zum Sprung bereitet, funkeln des Schloßwartes Augen. Und wie die beiden sich in die Augen schauen, sieht einer in des andern Seele hinein.

          Der Schloßwart bückt sich, als wolle er knien, bekommt sein verborgenes Messer zu fassen und stürzt auf den wehrlosen Gaugrafen los.

          Der Gaugraf wehrlos — Höflinge und Ingesinde entfernt — ehe jemand herbeieilen kann, wird der Gaugraf erliegen!

          Aber unter der Linde, gleich einem Bienchenschwarm, fliegen die wenn Gaugräflein hervor, mit neun guten Schwertern bewaffnet. Mit den Schwestern fangen sie des Schloßwartes Angriff auf und durchbohren seine rechte Hand. Die Gaugräflein drängen sich um ihn wie junge Windhunde um einen Wolf. Und wie der Wolf den Windhunden erliegen wird, so der Schloßwart unter der Knaben Klingen.

          Aufschreiend stürzte das Ingesinde, stürzten die Höflinge herbei, erhoben die Hände zur Verteidigung ihres Herrn. Aber schon hatten die Kinder den Vater verteidigt und den Übeltäter von seiner schwarzen Seele geschieden.

 

*

 

          Wie sollte ein Held nicht den Sohn erkennen, wenn der ihn mit dem Schwebte verteidigt, das der Held ihn zu führen gelehrt? Gaugraf Jurina erkannte seine Söhne.

          Die Gaugräflein mieten vor ihm nieder und der Vater beugte sich über die Kinder. Fragt nicht, was noch geschah, auch ein Held vermag sich der Tränen nicht jederzeit zu erwehren.

          Alles wäre nun gut und schön, hätte die arme Großmutter nicht ein Klagegeschrei erhoben.

          Niemand dachte daran, daß Toporko dahin war.

          Er ist dahin, verschwunden, was liegt daran? denkt die Versammlung. Hat sein Pelzmützchen hinterlassen, ehrlich dem Herrn gedient, ihn von seinem Todfeind befreit, ihm Söhne und Leben gerettet, und dabei ist er eben verschwunden. Anders geht derlei nicht.

          Doch die Alte urteilt nicht so. Sie allein weiß, wie das Herz m Toporko leidet. Har ein Jammerlied, ein Klagegeschrei erhoben und vermaledeit den Gautag und die Versammlung.

           »Wer hat dich, Mutters Rehkälbchen, beraten so schleicht, das du an der Herren Gautag dich kümmerst ums Recht?«, so wehklagt sie und wendet sich zum Gehen.

          Weine nicht, Alte, verdirb uns die Festfreude nicht!« rief der Knappe. »Nimm hier, was dein ist.« Und er wirft ihr den Axtstiel zu.

          Der Axtstiel flog, in der Luft überschlug er sich, und in ihren Armen fing ihn die Alte auf. Und wie sich der Stiel überschlug, so fiel Toporko, frisch und gesund, in die Arme der Alten Lachend schwang und schlang der kleine Schlingel sich um den Hals der Alten wie eine Klete und küßte sie, lieber Gott, küßte, liebkoste sie!- Und schon war‘s, als wäre der Alten Klagelied nie gewesen. Nachdem sie Toporko lange genug geherzt, staubte sie ihr Ärmelleibchen ein wenig ab und sagte, als gäb's sonst nichts:

          »Mach mir, Kind, mein Gewand nicht fleckig! Noch wird Gautag gehalten und das hier ist mein Platz. – Und flugs stellte sie sich neben den Knappen an des Gaugrafen Stuhl, damit der Gautag nicht ohne sie etwas beschließe.

          Auch der Gaugraf hatte seine Söhne umarmt. Dann fragte er Toporko, wie sich alles begeben. Die Gaugräflein gaben Bericht, und als der Gaugraf hörte, was Toporko alles für sie getan, fragte er den Kleinen: »Und was für eine Belohnung verlangst du, Knirps?«

          Da schauten die Gaugräflein und der Knirps einander an, lachten und riefen wie aus einem Munde: »Daß du uns das Fensterchen Luginsland in der Mauer beläßt! «

          Der Gaugraf versank in Sinnen.

          »Töricht war's und umsonst, daß ich himmelhohe Mauern errichten ließ«, dachte er, »nicht Wand und Mauer hat mir die Kinder erhalten, sondern das Guckloch in der Mauer, das ein Knirps hindurchbrach. Wozu also Mauer und Wand? Wozu Mauern, wenn solche Gucklöcher not tun?«

          Wohlgeboren ist des Grafen Seele. Wenn er gibt, mit vollen Händen gibt er; denkt er, sind's Gedanken weiten Fluges. Erhebt sich also der Gaugraf, erhebt sich vom silberbeschlagenen Stuhle, richtet sich, Held, der er ist, unter den Zweigen den mächtigen Linde auf und spricht mit Donnerstimme zum Hofgesinde:

          »Eile, mein Hofgesinde, bringe Meißel und Hämmer herbei, Spaten und Eisengerat: wir stürzen heute die Mauern um unser Schloß. Ich, euer Gaugraf, wälze den ersten Stein hinweg Und vier der Boten sende ich heute rings durch die Gaugrafschaft, auf daß Knechte und Herren erfahren: Jetzo steht das weiße Schloß des Grafen, einer Taube gleich, auf Gottes Händen. Jetzo steht das weiße Schloß des Grafen, einem Herzen gleich, auf reinem Plane. Nicht von Wand noch Mauer ist's verborgen. Steht, durch nichts verteidigt und behütet, durch den Glauben nur am meine Helden. «

          Hei, da ging ein Jauchzen an aus tausend Kehlen, daß es weithin über die freien Gefilde scholl. So jauchzte das Hofgesinde:

          »Sehend Wird das Schloß durch alle Fenster, gleich dem Blinden, dem der Arzt den Star sticht.« Weithin war das Jauchzen zu hören. Volk und Mannen strömten zusammen, Gerat und Werkzeug wurde herbeigeschleppt und hob ein Gestäube an um das Schloß von Wänden und Mauergestein: auf des Gaugrafen Machtgeheiß stürzten sie ein.

          Großvater Wetterwart kam in seiner Höhle das Niesen an, weil die Sonne ihm ins Gesicht schien. Da sprang der Großvater auf, und gleich erriet er, wie sehr er getäuscht worden war. Er rannte ins Freie: schon war es nahe an Mittag. Kaum je und je noch ein Wölkchen am Himmel, auf dem der Großvater Fuß fassen konnte, solch eine Sonne strahlte heute über der Welt. Schnallt Grobvater also seine Weitschritt-Opanken an, schreitet aus, schreitet, so schnell er kann, um die Entsprungenen einzuholen.

          Wie er aber zum Schloß kommt, gibt es da etwas zu sehen. Großvater erkennt sogleich, was da gewerkt wird. Lieb und verwunderlich ist es ihm, daß die Mauern einstürzen, und in einem Nu hat er alles verziehen. Da aber vor lauter Arbeit kein Mensch auf ihn schaut, setzt er sich still an den Rand des Grafenturmes, läßt die Beine und Weitschritt-Opanken über die Mauer herabhängen und versinkt in tiefe Gedanken. Er glättet den Bart und es fällt ihm schwer, seinen eigenen Augen zu trauen: sieht er nicht, wie der Gaugraf mit eigenen Händen dort einen Stein herabwälzt?

          »Eh, mit dem gleich' ich mich aus, weil er da wieder einmal ein mächtig Gutes vollbracht hat. Aber durchschauen werd item riie«, entschied Großvater Wetterwart bei sich selbst, und sitzend beugt er sich über die Tiefe unter dem Turm und zieht die Riemen seiner Weitschritt-Opanken gehörig fest, um so geschwind wie möglich wieder ins Waldgebirge zu kommen, wo er jedes Tierlein kennt.

 

*

 

          Der Gaugraf wurde alt, die Gaugräflein wuchsen heran. Und da jener Gau sich so weithin erstreckte, teilten sie denselben in acht Gaugrafschaften und wählten den Stärksten unter sich zu ihrem König. Und der König herrschte mit seinen Gaugrafbrüdern einig und segensreich über jene Gaue, so daß man noch jetzt jener Zeiten gerne gedenkt.

          Von Toporkos und von Großmütterchen aber wimmelt's im ganzen Königreiche. Kopftuchlein und Pelzmützchen um und um, und alles könnte jenes Königreich leichter entbehren als diese beiden.