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Schwesterchen Rutvica und Brüderchen Jaglenac

Ivana Brlić-Mažuranić

autor

zbirka

Aus Urvaterzeiten - Marchen aus kroatischer Urzeit

godina

1999.

jezik

njemački

jezik izvornika

hrvatski

medij

tiskani tekst

prevoditeljica

Camilla Luzerna

ilustrator

Vladimir Kirin

sken

ilustracije

priča

1

 

          Die feste Burg einer edlen und gütigen Fürstin wurde von Feinden bestürmt. Die Fürstin, die ihr großes, getreues Heer nicht so rasch zu sammeln vermochte, sah sich gezwungen, mit ihrem Söhnchen am Arm bei Nacht und Nebel die Flucht zu ergreifen.

          So floh sie mit dem kleinen Fürstensohne die Nacht hindurch, und da es zu tagen begann, kamen sie an das schrecknisreiche Kitaugebirge, das sich an der Grenze des Fürstentums erhob.

          Auf Erden gab es damals nirgends mehr Ungeheuer, weder Drachen noch Wilen noch Hexen. All diesen Spuk hatten das heilige Kreuz und Menschenvernunft vertrieben. Nur im Kitaugebirge lag noch der letzte »Feurige Drache« verborgen und ihm dienten sieben Wilen, die schwarzen »Schwestern vom Schwur«; darum ging Schrecken vom Kitaugebirge aus. Aber am Fuß des Gebirges zog sich ein stilles Tälchen hin. Dort lebte die junge Hirtin Milojka in einem Hüttchen aus Rohrgeflecht und hütete ihre Herde.

          Gerade in dieses Tälchen gelangte die Fürstin mit ihrem Söhnlein vor Sonnenaufgang, und da sie Milojka vor ihrer kleinen Hütte gewahrte, trat sie auf sie zu und bat: »Verbirg mich und das Fürstensöhnchen tagsüber in deiner Hütte, damit uns die Feinde nicht finden. Sobald die Dämmerung anbricht, will ich mit meinem Kleinen die Flucht fortsetzen.« Milojka nahm sie auf, labte beide mit Schafmilch und verbarg sie in ihrer Hütte.

          Als es Abend war, sagte die edle und gütige Fürstin ...

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Schwesterchen Rutvica und Brüderchen Jaglenac

Ivana Brlić-Mažuranić

1

 

          Die feste Burg einer edlen und gütigen Fürstin wurde von Feinden bestürmt. Die Fürstin, die ihr großes, getreues Heer nicht so rasch zu sammeln vermochte, sah sich gezwungen, mit ihrem Söhnchen am Arm bei Nacht und Nebel die Flucht zu ergreifen.

          So floh sie mit dem kleinen Fürstensohne die Nacht hindurch, und da es zu tagen begann, kamen sie an das schrecknisreiche Kitaugebirge, das sich an der Grenze des Fürstentums erhob.

          Auf Erden gab es damals nirgends mehr Ungeheuer, weder Drachen noch Wilen noch Hexen. All diesen Spuk hatten das heilige Kreuz und Menschenvernunft vertrieben. Nur im Kitaugebirge lag noch der letzte »Feurige Drache« verborgen und ihm dienten sieben Wilen, die schwarzen »Schwestern vom Schwur«; darum ging Schrecken vom Kitaugebirge aus. Aber am Fuß des Gebirges zog sich ein stilles Tälchen hin. Dort lebte die junge Hirtin Milojka in einem Hüttchen aus Rohrgeflecht und hütete ihre Herde.

          Gerade in dieses Tälchen gelangte die Fürstin mit ihrem Söhnlein vor Sonnenaufgang, und da sie Milojka vor ihrer kleinen Hütte gewahrte, trat sie auf sie zu und bat: »Verbirg mich und das Fürstensöhnchen tagsüber in deiner Hütte, damit uns die Feinde nicht finden. Sobald die Dämmerung anbricht, will ich mit meinem Kleinen die Flucht fortsetzen.« Milojka nahm sie auf, labte beide mit Schafmilch und verbarg sie in ihrer Hütte.

          Als es Abend war, sagte die edle und gütige Fürstin: »Nun muß ich mit dem Fürstensöhnchen noch weiter fliehen. Dich aber bitte ich: Nimm meinen goldenen Gürtel und meines Söhnchens goldenes Kreuzlein am roten Bande zu dir. Erreichten die Feinde uns, so würden sie uns an Gürtel und Kreuz erkennen. Bewahre diese beiden Dinge und hüte sie. Wenn meine getreuen Feldherren ihr Heer gesammelt und die Feinde vertrieben haben, dann kehre ich in meine feste Burg zurück und mache dich zu meiner lieben Gefährtin.«

          »Deine Gefährtin kann ich nicht werden, vieledle Fürstin, denn ich bin nach Stamm und Geist nicht deinesgleichen. Aber Gürtel und Kreuz will ich dir wohl bewahren, denn in Trauer und Unglück kann selbst eines Bettlers Herz dem Herzen des Kaisers Gefährte sein«, antwortete Milojka.

          Sprach's und nahm der Fürstin Gürtel und Kreuz in Verwahrung, die Fürstin aber hob den kleinen Fürstensohn auf ihren Arm und floh mit ihm in die Nacht hinaus, die so dunkel war, daß man nicht unterscheiden konnte, was Gras und was Gestein, was Gefilde und was Gewässer war.

 

2.

 

          Viele Jahre waren seit jenem Geschehnis vergangen, aber die Fürstin war weder in ihr Land noch in ihre feste Burg zurückgekehrt.

          Ihr großes Heer und ihre ruhmreichen Feldherren waren so ungetreu, daß sie sich alle gleich an ihre Feinde anschlossen. Und darum hatten die Feinde das Land der edlen und gütigen Fürstin eingenommen und sich in ihrer festen Burg heimisch gemacht.

          Niemand wußte und niemand konnte erfahren, was sich mit der Fürstin und dem kleinen Fürstensohne ereignet hatte. War sie in jener Nacht fliehend in einen Abgrund oder ins Meer gestürzt oder sonst auf eine Weise mit ihrem Kinde zugrunde gegangen?

          Aber Milojka, die Hirtin, hütete treu der Fürstin goldenen Gürtel und das goldene Kreuzlein des Fürstensöhnchens

          Schmucke Burschen, die reichsten des Dorfes, bewarben sich um Milojka, denn der goldene Gürtel und das goldene Kreuzlein am roten Bande waren gut zehn Dörfer wert. Aber Milojka wies alle ab. »Ihr kommt des goldenen Gürtels und Kreuzleins wegen, doch sie sind nicht mein und ich muß sie besser behüten als meine kleine Hütte und meine Schafe.«

          So sprach Milojka, und darum nahm sie einen armen und stillen Burschen zum Manne, dem am goldenen Gürtel und Kreuzlein nichts gelegen war.

          Die beiden lebten in Armut dahin. Weder Brot noch Mehl gab es zuweilen in ihrem Heim. Doch fiel es ihnen nicht ein, Gürtel oder Kreuzlein verkaufen zu wollen.

          Nach einigen Jahren erkrankte und starb Milojkas Mann. Bald darauf kam schwere Krankheit auch über Milojka und sie erkannte, daß auch sie sterben müsse. Darum rief sie ihre beiden Kinder zu sich: das kleine Töchterchen Rutvica und das noch kleinere Söhnchen Jaglenac. Jedem gab sie eine Gabe: Rutvica umgürtete sie mit dem goldenen Gürtel und Jaglenac band sie das goldene Kreuzlein am roten Band um den Hals.

          »Gott mit euch!« meine Kinder!« sagte Milojka. »Ihr werdet allein zurückbleiben auf dieser Welt und ich habe auch keine großen Weistümer beigebracht, doch will's Gott, so wird das, was ich euch lehrte, für euch Unmündige gerade genug sein. Verlaßt einander nicht und hütet als Heiligtum, was euch die Mutter zu hüten gab, und so werde ich immer mit euch sein.« — Als die Mutter dies gesprochen hatte, starb sie.

          Rutvica und Jaglenac waren so klein, daß sie nicht wußten, woher die Mutter Gürtel und Kreuzlein hatte, und was sie gesprochen, verstanden sie vollends nicht. Sie setzten sich eines zum andern neben die tote Mutter wie zwei rechte Waislein und warteten ab, was aus ihnen werden sollte.

          Bald darauf kamen Leute aus dem Dorf und sagten, Milojka müsse am andern Tage begraben werden.

 

3.

 

          Aber am andern Tage trug sich noch etwas zu. Als nämlich die Leute vom Begräbnis zurückkamen, traten sie alle in das Hüttchen ein, um miteinauder zu reden, nur Rutvica und Jaglenac blieben vor dem Hause, denn sie dachten immer noch, ihre Mutter werde von irgendwo wiederkommen.

          Da ließ sich aber jäh aus der Höhe ein großer Adler auf sie herab, warf Rutvica zu Boden, faßte sie mit seinen Fängen am goldenen Gürtel und trug sie unter die Wolken des Himmels hinauf.

          Fliegt also der Adler und fliegt just auf das Kitaugebirge zu, trägt Rutvica in seinen Horst. Rutvica findet es gar nicht schlimm, so am goldenen Gürtel dahinzufliegen. Nur tut es ihr leid, von ihrem einzigen Brüderchen getrennt zu werden, und sie denkt immerzu: »Warum nimmt der Adler nicht auch Jaglenac mit?«

          So fliegen sie hin bis über das Kitaugebirge und da sieht Rutvica gleich etwas, das weder sie noch andere Talbewohner je erblickt haben, da jeder das schrecknisreiche Gebirge meidet — denn wer sich einmal dahin verirrt, der kehrt nicht wieder! — Was sieht also Rutvica? Auf einem Felsengipfel sind sieben Wilen, die schwarzen Schwestern vom Schwure, versammelt, die im Kitaugebirge dem Feurigen Drachen dienen. Sie heißen so, weil sie den Schwur getan, sich als die Letzten vom Wilenstamm am Menschengeschlechte zu rächen.

          Was aber erblicken die schwarzen Wilen? — Einen großmächtigen Adler, der ein ganz kleines Mädchen trägt. Wilen und Adler hatten sich aber das Wort gegeben, ihre Beute auf diesen Felsengipfel zu tragen und hier auf dem Gipfel vereint zu beschließen, was damit zu tun sei und wem sie zuteil fiele. Darum hieß jener Felsengipfel Raubriff, der Teilungsfels.

          Deshalb riefen also die Wilen dem Adler zu: »Gevatter, Bruder Klikun! Laß dich auf Raubriff herab!«

          Doch: Wie der Mann, so sein Wort! Das war für Rutvica diesmal ein rechtes Glück.

          Adler Klikun findet Gefallen an Rutvica und so hält er sich nicht an sein Wort; er läßt Rutvica nicht auf den Teilungsfelsen herab, sondern trägt sie in seinen Horst, damit die Adlerjungen ein Spielzeug haben.

          Es galt aber, hiezu den Gebirgskamm zu überfliegen, denn Adler Klikun horstete jenseits des Kammes.

          Nun lag auf der Höhe des Kitaugebirges ein kleiner See und inmitten des Sees eine Insel, auf der ein uraltes Kirchlein stand. Um den See herum Wiesengelände. Die Wiesen wieder schloß eine vor alters gezogene Furche ein.

          Über diese Furche konnte kein Schrecknis dieses Gebirges. Weder Drache noch Wilen durften sie überschreiten. Dort, um den See herum, blühten und dufteten Blumen, dorthin hatten sich Turteltauben und Nachtigallen und alle liebholden Wesen aus dem Gebirge geborgen.

          Weder Nebel noch Wolken gab es über dem heiligen, von der Furche umzogenen See. Immer wechselten über ihm nur Sonne und Mond. Als Klikun mit Rutvica den kleinen See überflog, erblickte Rutvica in dessen Mitte das Kirchlein. Und als sie das Kirchlein erblickte, gedachte sie ihrer Mutter — und als sie ihrer Mutter gedachte, griff sie sich jäh ans Herzchen, und als sie sich so ans Herzchen griff, ging der Mutter Gabe, der goldene Gürtel, auf.

          Und wie der Gürtel aufgeht, fällt Rutvica aus des Adlers Fängen schnurstracks in den See hinab und ihr nach der goldene Gürtel. Rutvica erfaßt ihn und watet mit ihm durch Rohr und Ried, durch Wasserrosen und Binsenschilf, bis zur Insel hin. Dort setzt sie sich vor dem Kirchlein auf einen Stein. Indessen saust Klikun wie ein wütiger Wind davon, denn er darf nicht an den heiligen See.

          So ist Rutvica für jetzt gerettet, denn über die Furche hinweg kann ihr keinerlei Unheil nahen. Doch was frommt ihr dies? — Sitzt doch die kleine Waise mutterseelenallein auf der Höhe des schrecklichen Kitaugebirges, kann doch niemand zu ihr, kann doch auch sie nirgends hin!

 

4.

 

          Kaum wurden die Leute, die Milojka begraben hatten, gewahr, daß ein Adler Rutvica entführte, da schrien zuerst alle auf. Dann aber sprach einer von ihnen:

          »Besser ist's, Kinder Gottes, daß der Adler die Kleine entführt hat. Im Dorfe hätte sich schwerlich jemand gefunden, der für zwei Kinder sorgen wollte. Um Jaglenac allein wird sich schon irgendwer im Dorfe kümmern.«

          »Ja, ja, besser so«, stimmten gleich alle anderen bei. »Um Jaglenac allein werden wir uns schon kümmern.«

          Ein Weilchen standen sie noch vor der Hütte und schauten nach jener Seite hin, wo in der Höhe Rutvica mit dem Adler verschwunden war, dann gingen sie wieder ins Haus zurück, um zu trinken und miteinander zu reden.

          »Jeder von uns«, sagten sie immerzu, »nimmt Jaglenac gerne zu sich.«

          So sagten sie, aber keinem von ihnen kam es in den Sinn, Jaglenac auch nur ein Gläschen Wasser zu reichen, obschon die Hitze groß war. Der Kleine, der Durst empfand, ging darum in die Stube und wollte um Wasser bitten. Er war aber so klein, daß keiner von diesen Leuten seine Rede verstand. Jaglenac wollte, daß jemand ihm sein Holzbecherlein herablange, doch keiner von diesen Leuten vermochte zu ahnen, daß oben hinter dem Balken Jaglenac' Holzbecherlein stand.

          Als Jaglenac das alles sah, schaute er ein ganz kleines Weilchen in der Stube umher, dann ward dem Bübchen klar: Das ist alles nichts, ich bin allein auf der Welt. — Darum bückte er sich über den Henkelkrug, der auf der Erde stand, schlürfte so viel von dem Wässerlein, als sich erreichen ließ, und dann ging er fort, um sein Schwesterchen Rutvica aufzusuchen.

          Aus der Hütte tretend, nahm Jaglenac den Weg auf die Sonne zu, wohin, wie er gesehen, der Adler Rutvica entführt hatte.

 

5.

 

          Die Sonne wanderte gegen das Kitaugebirge, so auch Jaglenac. Da er stets auf die Sonne sah, kam er bald an das Kitaugebirge heran. Da war niemand hinter Jaglenac her, der ihm gesagt hätte:

          »Geh nicht ins Gebirge, Bübchen! Dort ist's nicht geheuer.« Und darum schlägt es sich ins Gebirge, das einfältige Kind.

          Doch für Jaglenac gibt es überhaupt nichts, das ihn schrecken könnte. Seine Mutter hat ihn behütet wie ein Blümlein vor dem Altar, so daß ihm noch nie das geringste Leid widerfahren ist; nicht einmal eine Granne hat ihn bisher je gestochen, noch hat ein böses Wort ihm je bange gemacht.

          Darum konnte auch keine Angst in Jaglenac' Herzchen erwachen, was immer sein Auge sah oder sein Ohr zu hören bekam.

          Schon war Jaglenac ein gut Stück in das Gebirge gedrungen, zu den ersten Steinwänden und Felsengipfeln gelangt.

          Und dort, unter dem Teilungsfelsen, waren die Schwestern vom Schwure zusammengekommen und berieten sich immer noch über Klikuns Verrat. Da, was erblicken sie? Ein Kind, das sich durchs Gebirge schlägt, das auf sie zukommt!

          Freut euch, ihr Schwestern! Leichte Arbeit das mit einem so kleinen Kinde!

          Als Jaglenac sich näherte, kamen die schwarzen Wilen hurtig auf ihn zu, schlangen um ihn einen Reigenring. Jaglenac nimmt es wunder, daß ihm so viele vornehme Frauen entgegenkommen, von denen jede noch dazu zwei großmächtige Flügel hat. Da tritt ihrer eine heran, um das Kind bei der Hand zu fassen. Aber Jaglenac trägt ein Kreuzlein am Halse. Wie die schwarze Wila das Kreuzlein erblickt, kreischt sie auf, weicht zurück, denn des Kreuzleins wegen darf die Wila das Kind nicht berühren.

          Aber so leichten Kaufes kommt man den Schwestern vom Schwure nicht aus. Sie ziehen einen weiten Reigenring um das Kind und beraten leise, was mit ihm zu beginnen sei.

          Doch Jaglenac hat ein ruhsames Herzchen. Die Schwestern vom Schwur halten Rat und hegen so schwarze Gedanken, daß ihnen schwarze Waldhummeln darob um die Köpfe brummen, und indessen beschaut sie der Kleine der Reihe nach und hat kein Arg dabei, geschweige denn, daß er Bangnis empfände! Aber das Flügelpaar einer schwarzen Wila gefällt ihm besonders gut, das schwingt so hin und her, da geht er denn auf die Wila zu, um es ganz aus der Nähe zu sehen.

          »Ho, das ist gut«, denkt die Wila. »Anrühren darf ich ihn nicht, doch in die Wolfsgrube will ich ihn locken.«

          Es gab nämlich dort eine Grube, die war mit Gezweig überdeckt, so daß man sie nicht bemerken konnte, und in der Grube unten ragten furchtbare Pfähle und Spieße empor. Wer auf jene Zweige trat, stürzte gleich in die Grube und ward durch die Spieße getötet.

          Lockt also die schwarze Wila Jaglenac zu der Wolfsgrube hin, weicht immer wieder vor Jaglenac zurück und immer wieder folgt er ihr nach, um ihr Flügelpaar ganz aus der Nähe zu sehen. So gelangen sie bis zur Grube. Die schwarze Wila fliegt darüber hinweg, der kleine Jaglenac jedoch läßt sich täuschen, tritt aufs Gezweig und stÜrzt in die Grube hinab.

          Vor Freude jauchzten die schwarzen Schwestern und flogen herzu, um mit anzusehen, wie das Kind sich auf den Spießen zu Tode fiel.

          Doch was wissen Wilen davon, wie leicht so ein Kindlein wiegt!

          Der Kleine war leicht wie ein Hühnchen. Ein wenig Gezweig und Laub sank mit ihm in die Grube hinab, das Laub umhüllte die Spieße und Jaglenac, klein und leicht wie er war, blieb auf dem Laube liegen wie auf einem Bette.

          Da Jaglenac sich plötzlich so weich gebettet findet, denkt er: »Ist wohl Schlafenszeit«, steckt die Händchen unter den Kopf und süß schlummert er ein, kein Gedanke daran, daß er in einer tiefen Grube gefangen liegt, aus der man nicht heraus kann.

          Um ihn ragen noch viele unbedeckte Spieße empor, über die Grube haben die schadenfrohen Schwestern vom Schwur sich gebeugt. Aber Jaglenac schläft sanft und still wie auf Basilienkraut. Jaglenac rührt sich nicht — das hat ihn die Mutter gelehrt. »Legst du dich nieder, Söhnchen, so mach deine Äuglein zu und rühr dich nicht, damit du den Schutzengel nicht verscheuchst.«

          Stehen die schwarzen WIIen um die Grube herum und sehen: das Büblein schläft. Schläft wie ein kleiner Herzog auf goldenem Bettlein! »Ist keine leichte Arbeit mit diesem Kinde«, sagten die Wilen. Flogen also zum Teilungsfelsen zurück und hielten Rat, wie sie es umbringen könnten, da sie es nicht berühren durften, des Kreuzleins wegen.

          Sie berieten sich also, ratschlagten hin und her, bis eine der Wilen ausrief: »Laßt uns ein Gewitter brauen, einen Wolkenbruch niedergehen, dann kommt ein Wildbach aus dem Gebirge und ertränkt in der Grube das Kind.«

          »Huj! Huj!« huhuten alle die schwarzen Wilen, schlugen mit den Flügeln vor Freude und erhoben sich gleich in die Lüfte übers Gebirge, um Wolken zusammenzuballen und das Gewitter zu brauen.

 

6.

 

          Klein—Rutvica sitzt im Gebirge oben auf ihrem Inselchen inmitten des heiligen Sees. Ganz wunderschöne Falter umgaukeln sie, rasten auf ihren Schultern, und die graue Turteltaube hat ihre Turteltäubchen zu ihr gebracht, die sie mit Körnchen füttert auf ihrem Schoß. Auch ein Himbeerzweiglein hat sich auf sie herabgesenkt und Rutvica hat sich nach Herzenslust an den roten Beeren gesättigt — so fehlt ihr also nichts.

          Nur allein ist es, das kleine Waislein, und traurig im Herzen, denn es glaubt sich auf immer vom einzigen Bruder, von ihrem Jaglenac, getrennt. Und hat ihm wohl jemand ein Tränklein Wasser gereicht, hat ihn jemand schlafen gelegt?

          Bekümmert wie Rutvica ist, schaut sie zum Himmel auf. Schaut hinauf und bemerkt, wie sich oben um das Gebirge ein schwarzer Nebel windet, schwarz wie die Nacht. Über Rutvica und dem von der Furche umfriedeten See lacht die liebe Sonne, aber ringsum wallen und winden sich Nebelschwaden, ballen sich Wolken, wenden sich, steigen und sinken wie schwerer schwarzer Rauch. Und aus dem Rauch blitzen manchmal feurige Funken auf.

          Das waren die schwarzen Schwestern vom Schwur, die trieben überm Gebirge mit mächtigem Flügelschlag schwarze Wolken zusammen und dazu fuhren feurige Blitze aus ihren Augen die Wolken entlang. Dann brach auf einmal ein furchtbarer Donner los, ein schwerer Regenguß ging rundum aufs Gebirge nieder und durch Regen und Donnergeroll huhuten undheulten die schwarzen Schwestern vom Schwur.

          »Über mir lacht die liebe Sonne, mir kann nichts geschehen«, denkt Rutvica bei diesem Anblick, »doch im Gebirge braucht vielleicht jemand Hilfe bei solch einem Gewittersturm.«

          Zwar meint Rutvica, daß keine lebende Seele sich im Gebirge aufhalte, tut aber doch, wie ihre Mutter es sie bei Gewitterstürmen gelehrt: bekreuzigt sich also und betet. Und da im zerfallenen Kirchlein eine Glocke zurückgeblieben ist, faßt Rutvica das Seil und besorgt das Gewitterläuten.

          Rutvica weiß nicht, für wen sie betet oder für wen sie läutet, sie läutet eben um Hilfe für jeden, dem Unheil droht.

          Als da so unerwartet das Inselglöcklein ertönte, das schon hundert Jahre geschwiegen hatte, erschraken die schwarzen Wilen im finsteren Gewölk, wurden irre an ihrem Tun, ließen das Wettern sein, stoben aus Furcht auseinander nach allen Seiten, verbargen sich, schmiegten sich: die an eine Steinwand, die unters Farnkraut, die hinter Felsenzacken, die in einen Höhlengrund.

          Rein wurden die Höhen im Nu, und Gipfel, die hundert Jahre keine Sonne gesehen, glänzten im Sonnenschein.

          Bricht die Sonne hervor — hört mit eins auch der Regen auf. Doch schon hat die Todesgefahr das kleine Bübchen erreicht.

          Durch jene ersten, mächtigen Regengüsse hatte sich nämlich schon ein Wildbach im Gebirge angesammelt und das Hochwasser schoß jetzt gerade auf jene Grube zu, in der Jaglenac schlief.

          Jaglenac hat weder den Sturm noch den Donner gehört, auch jetzt hört er den Wildbach nicht, der fürchterlich braust und gurgelnd mit grausiger Schnelle herbeistürzt, um ihn zu ertränken.

          Und schon bricht das Gewässer über die Grube herein, bricht herein und im selben Nu hat es das Kind bedeckt.

          Bedeckt und untergetaucht im selben Nu, man sieht keine Grube, keine Spieße, keinen Jaglenac mehr, nur das Gewässer, das gurgelnd vom Gebirge herniederstürzt.

          Aber wie das Wildwasser so in die Grube einbrach, warf es sich in der Grube herum, wühlte und wirbelte darin umher und dann hob das Wasser plötzlich Laub und Gezweig empor und auf dem Gezweige zugleich den kleinen Buben. Hob ihn empor, hob ihn aus der Grube heraus und trug ihn auf jenem Gezweige bergabwärts.

          So stark war der Wildbach, daß er mächtig große Steine und alte Eichen mit sich wälzte und forttrug, und nichts war imstande, sie aufzuhalten, weil sie schwer und gewaltig waren und der Wildbach sie mit sich riß.

          Doch das kleine Brüderchen fuhr auf seinem Gezweig, vom Wildbach fortgerissen, so leicht dahin — leicht wie ein weißes Rosenblatt, jeder Busch hätte es aufhalten können.

          Und wirklich fand sich ein Busch da am Wege und das Gezweig mit Jaglenac verfing sich an diesem Busch. Jäh geweckt, erfaßt Jaglenac mit den Händchen den Busch, klettert an ihm empor und sitzt nun hoch auf dem Busch wie ein Vögelchen.

          Über Jaglenac scheint die liebe Sonne, freundlich und hell. Unter Jaglenac braust das graue Gewässer und er sitzt auf dem Busche oben im weißen Hemdchen und reibt sich die Äuglein vor lauter Verwunderung, denn er, der einfältige Kleine, weiß nicht, was das alles bedeutet: Wer hat ihn so jäh aus dem Schlafe geweckt?

          Während er sich noch die Äuglein reibt, ist das Wasser bergabwärts geschossen. Weg ist der Wildbach! Jaglenac schaut zu, wie der Wildbach unter dem Steilhang verschwindet, sieht, wie der Schlamm noch von den Gebüschen trieft, sich um sie schlängelt, und dann steigt Jaglenac von seinem Busche herab und denkt:

          »Jetzt heißt's wohl weitergehen, da man mich aufgeweckt hat!«

          Und aufwärts steigt er nun in das Gebirge. Und so süß hat er sich ausgeschlafen, daß er ganz vergnügt ist und daß ihm vorkommt: Jetzt wird er sein Schwesterchen finden!

 

7.

 

          Sobald das Glöcklein zu läuten aufhörte, gewannen die Schwestern vom Schwur ihre Kraft zurück. Wieder mutig geworden, wagte sich jede aus ihrem Verstecke hervor. Und was erblickten sie? Sonnenschein auf dem Gebirge! Nichts aber scheuen die schwarzen Wilen so sehr wie das liebe Sonnenlicht. Und da sie das ganze Gebirge nicht rasch genug zu umwölken vermochten, so trübte doch jede die Luft um sich her mit etwas Nebeldunst, und alle flogen zur Grube, um nachzusehen, wie das Knäblein ertrunken war.

          Nun sind sie dort und beugen sich über die Grube. Doch die ist leer, es ist kein Jaglenac darin!

          Da schnaubten die schwarzen Schwestern aus lauter Grimm und schauten sich im Gebirge um, ob ihn das Wildwasser nicht irgendwo am Gestein zerschlagen hätte. Doch, wie sie umherschauen, was erblicken sie da? Geht dort nicht Jaglenac wohlgemut seines Weges dahin?

          Trocknet die liebe Sonne ihm nicht das Hemdlein am Rücken und singt er nicht leise — so gut ein Kind singen kann — sich dabei etwas vor?

          »Wenn das so fortgeht, entkommt dieses Kind uns noch«, jammerte eine der schwarzen Wilen. »Es ist stärker als wir. Wie wär's, wenn wir den Feurigen Drachen zu Hilfe riefen?«

          »Tut euch, Schwestern, die Schmach nicht an«, sprach eine andre. »Mit solch einem schwächlichen Bübchen werden wir doch allein fertig werden!«

          So sagte die Wila, aber sie wußte nicht, daß der kleine Jaglenac In seiner Herzenseinfalt stärker war als alle Bosheit und Hinterlist des Kitaugebirges.

          »Wir schicken eine Bärin über das Kind, damit sie es tötet. Die stumme Bärin fürchtet das Kreuz nicht«, sagte eine der schwarzen Wilen. Und alsogleich flog sie zur Höhle der Bärin hin.

          Die Bärin liegt darin und spielt mit dem Bärenjungen.

          »Auf, Medunka! Dorthin auf den Pfad! Auf dem Pfad geht ein Kind. Erwart es dort, töt es, Medunka, Gevatterin!« sagte die schwarze Schwester.

          »Kann mein Bärenjüngelchen nicht allein lassen«, brummte Medunka.

          »Ich werde ihm schon die Zeit vertreiben«, versprach die Wila und begann sogleich mit dem Bärenjungen zu spielen.

          Begibt sich also Medunka hinaus auf den Pfad und siehe — da kommt auch schon Jaglenac daher!

          Gleich hebt sich die große Bärin auf ihre Hinterbeine, streckt die Tatzen vor und geht so auf Jaglenac los, um ihn zu zerreißen.

          So eine Bärin ist fürchterlich anzuschauen, aber Jaglenac sieht nichts Fürchterliches, nichts Böses in ihr. Kann er sich etwas anderes denken als:

          »Da kommt jemand und streckt mir die Hand entgegen. Muß ihm also wohl auch ein Patschhändchen geben.«

          Gleich hebt Jaglenac beide Händchen, streckt sie gegen die Bärin aus und geht gerade so auf sie zu, als riefe die Mutter ihn in ihre Arme.

          Ein Augenblick noch — und um Jaglenac ist es geschehen. Schon ist sie dicht bei ihm und würde ihn auf der Stelle erfassen und töten, wenn er Miene machte zu fliehen. So aber läßt sie sich Zeit zu überlegen, von welcher Seite sie ihn am besten anpacken könne. Medunka richtet sich also hoch auf, beäugt das Bübchen von rechts, von links —jetzt und jetzt wird sie sich über es werfen!

          Doch in diesem Augenblick zwillt in seiner Höhle das Bärenjüngelchen. Eine der schwarzen Waldhummeln hat es gestochen, die immer im Gefolge der schwarzen Wilen sind.

          Fürchterlich zwillt das Bärenjunge, denn, ist Medunkas Stamm auch von grausamer Art, fremde Grausamkeit verträgt er nicht, ohne aufzubegehren.

          So laut es kann, zwillt das Bärenjunge, und kaum hört Mutter Medunka ihr Jüngelchen zwillen, so vergißt sie Jaglenac und das ganze Gebirge umher! Auf alle vier Tatzen wirft sich Medunka und trabt wie eine Wütende in die Höhle zurück.

          Mit ihrer Tatze fuhr die erboste Medunka der schwarzen Wila ins Haar. Sie prügelten, balgten sich, zerrten, zerzausten einander — und ließen den Kleinen in Frieden.

          Jaglenac trippelte der Bärin nach und schaute ein Weilchen zu, wie jene sich umeinander-wälzten und balgten — schaute zu — und dann lacht es laut auf, das einfältige Kind, setzt seinen Weg ins Gebirge fort — weiß nichts davon, daß sein Leben an einem Härchen gehangen hat.

 

8.

 

          Und wieder finden die Schwestern vom Schwur sich auf dem Teilungsfelsen zusammen, um zu beraten, was gegen den Kleinen zu tun sei. Es ist klar: sie sind schwächer als er.

          Immer wieder zum Teilungsfelsen und vom Teilungsfelsen fliegen und über Jaglenac beraten zu müssen, hat sie müde gemacht. Darum sind sie besonders ergrimmt.

          »Ho, wir vergiften das Kind. Jetzt gibt's kein Kunststück und keine Zauberlist, die es retten könnten«, beschlossen sie. Und sofort ergriff ihrer eine ein hölzernes Schüsselchen und flog auf einen Anger im Gebirge, wo giftige Erdbeeren wuchsen, um sie zu sammeln.

          Wie dächte Jaglenac daran, daß man über ihn zu Rate sitzen und sich die Köpfe zerbrechen könnte! Wohlgemut wandert er durch das Gebirge und leise wie ein ganz junger Täuberich gurrt er dabei vor sich hin.

          So gelangt er auch auf den giftigen Anger. Quer durch den Anger leitet ein Pfad. Zu einer Seite des Pfades ist der Anger ganz mit roten Erdbeeren bedeckt, zur andern aber mit schwarzen. Giftig die einen wie die anderen, umkommen muß jeder, der von den einen oder der anderen ißt.

          Doch woher sollte Jaglenac wissen, daß es Gift auf der weiten Welt gibt? Hat ihn doch seiner Mutter Milch aufgezogen!

          Jaglenac verspürt also Hunger und die roten Erdbeeren des Angers gefallen ihm. Doch was erblickt er? — Weit vor ihm auf der roten Seite des Angers pflückt jemand Erdbeeren und hat es so eilig, daß er den Kopf nicht hebt. Es war jene schwarze Wila, die eben rote Erdbeeren pflückte, um ihn zu vergiften.

          »Das dort ist ihre Seite«, denkt Jaglenac und wendet sich zu den schwarzen Beeren, denn man hatte ihn nicht gelehrt, anderen etwas streitig zu machen. Er setzt sich also unter die schwarzen Beeren und läßt sie sich schmecken. Die schwarze Wila ist aber weit voran in den roten Erdbeeren und weiß nicht, daß Jaglenac schon angelangt ist und seine Mahlzeit unter den schwarzen hält.

          Nun hat Jaglenac genug und erhebt sich, um weiterzugehen. Aber, o weh! Es trübt sich ihm vor den Augen, der Kopf Fängt zu schmerzen an und es ist, als wanke die Erde ihm unter den Füßen.

          Das alles kam von dem schwarzen Gifte.

          O weh, kleiner Jaglenac, o weh, du weißt wahrlich nichts von Weistümern und Zauberlisten. Wie wÜßtest du dich aus diesem Unheil zu retten?

          Trotzdem geht das Bübchen auf seinem Wege fort. Denn, denkt es, es macht nichts, daß sich ihm die Äuglein trüben und daß die Erde so wunderlich unter ihm wankt.

          So kommt er zur schwarzen Wila, dorthin, wo sie Beeren pflückt. Kaum hat diese das Kind erblickt, als sie schon mit dem Schüsselchen roter Erdbeeren auf den Pfad zueilt. Sie stellt das Schüsselchen vor ihn hin und winkt ihm, daß er essen möge.

          Die schwarze Wila weiß nicht, daß Jaglenac schon von den schwarzen Beeren geschmaust hat. Denn wüßte sie es, so würde sie ihm nicht die roten vorsetzen, sie würde warten, bis das schwarze Gift ihn umgebracht hat.

          Jaglenac mochte nichts mehr von den Beeren, weil ihn der Kopf so arg schmerzte. Doch hatte die Mutter den Kleinen gelehrt: »Iß, Söhnchen, wenn ich dir etwas anbiete, sonst wird Mutter traurig.«

          Das war kein Weistum und keine Zauberlist, worin Mutter ihr Kind unterwiesen hatte. Aber zu guter Stunde tat Jaglenac nach ihrem Geheiß.

          Er nahm also das Schüsselchen und aß die roten Erdbeeren eine um die andere auf. Kaum war er damit zu Ende, da wurden die Äuglein ihm wieder klar, schmerzte weder der Kopf noch das Herzchen mehr, auch wankte die Erde nicht mehr unter seinen Füßen.

          In Jaglenac hatte das rote Gift das schwarze umgebracht. Munter patscht er jetzt in die Händchen und weiter wandert er, gesund wie ein Fisch und frohgemut wie ein Vögelchen.

          Schon ist der Gipfel des Gebirges zu sehen und Jaglenac denkt:

          »Über den Gipfel hin gibt's keine Welt mehr. Dort muß ich mein Schwesterlein finden.«

 

9.

 

          Die schwarze Wila traut ihren Augen nicht, sie schaut Jaglenac nach, wie er dahingeht und all das viele Gift ihm nicht anhaben kann. So schaut sie, schaut — dann aber kreischt sie zornig auf. Jaglenac gerettet! Sie weiß nicht, durch welches Wunder. Sie sieht nur: Das Kind wird entkommen, denn schon ist's dem See auf der Höh' des Gebirges nah.

          Die Wila hat jetzt keine Zeit, zum Teilungsfelsen zu fliegen und sich mit den übrigen Schwestern zu beraten. Ist ein Unheil da, holt man keine Ratschläge ein. Sie fliegt also schlankweg zu ihrem Bruder, dem Brüllvogel Roro—Horo.

          Brüllvogel Roro—Horo nistet auf dem Gebirge in einem kleinen Morast und das ganz nah an der kleinen Furche, die den heiligen See umschließt. Auch er, der zornmütige Vogel, darf nicht über die Furche, aber hier an der Grenze setzten die bösen Mächte ihn hin, damit er mit seinem Gebrüll die Stille störe, die über dem heiligen See liegt.

          »Bruder Roro—Horo, Blutsfreund«, sagt die Wila, »ein Kind kommt des Weges, halt es mit deinem Gebrüll hier an der Furche auf, damit es nicht darüber hin an den See entkommt. Ich hole indes den Feurigen Drachen her.

          So sprach die Wila, dann flog sie gleich einem Pfeile übers Gebirge hinab, um den Feurigen Drachen zu holen, der in der Felsenkluft schläft.

          Und Roro—Horo? — Der kann's kaum erwarten, daß jemand ihn brüllen heißt, denn er tut sich sehr viel auf die Kraft seiner Stimme zugute.

          Schon beginnt es zu dämmern, schon bricht der Abend herein. Immer näher kommt Jaglenac der kleinen Furche, und jenseits der kleinen Furche sieht man den See, und über dem See blinkt ein Kirchlein.

          »Hier bin ich am Ende der Welt, wenn ich nur über das Fürchlein setze«, denkt sich Jaglenac.

          Da hört man auf einmal übers Gebirge hin solch ein entsetzliches Gebrüll, daß die Zweige erbeben und das Laub sich an den Bäumen umdreht, und von den Wänden und Felsenzinken bis in die tiefsten Abgründe hallt es wider. Das ist Roro—Horo, der so brüllt.

          Entsetzlich brüllt er; sogar der gewaltige Skanderbeg müßte erbeben, denn wie die Kanonen der Türken brüllen, das hat Skanderbeg noch im Ohr.

          Aber Jaglenac, das zarte Bübchen, ist nicht zu erschrecken, hat doch noch niemand aus Zorn oder Bosheit ihn angeschrien.

          Jaglenac hört: Jemand brüllt, daß der Berg erbebt. Muß das ein riesiges Ding sein! Er will es besehen. Doch wie er hinkommt, was sieht er? — Hockt ein Vogel im Rohr, nicht viel größer als eine Henne!

          Der Vogel feuchtet den Schnabel im kleinen Morast, hebt den Kopf, bläht den Hals auf wie einen Schlauch und brüllt, o du lieber Gott! brüllt, daß Jaglenac' Hemdärmelchen zittern.

          Ein solches Wunder findet der Kleine drollig, und so setzt er sich für ein Weilchen hin, um aus der Nähe zu sehen, wie Roro—Horo brüllt.

          Dicht an der heiligen Furche setzt sich Jaglenac vor Roro—Horo hin und schaut ihm unter den Hals (denn es dämmerte schon), um besser sehen zu können, wie der sich aufbläht.

          Wäre Jaglenac klüger, er bliebe nicht just vor der Furche sitzen, wo alle Gebirgsunholde ihm noch schaden können, er würde vielmehr ein Schrittlein über die Furche tun und wäre vor ihnen geborgen.

          Doch der kleine Jaglenac ist eben töricht und so kann er jetzt, wo die Rettung vor Augen liegt, noch zugrunde gehen.

          Jaglenac, der kleine Tor, erlustigt sich also an Roro—Horo und seinem Gebrüll. — Erlustigt sich, läßt sich betrügen.

          Denn indes ihm so die Zeit vergeht, hat die schwarze Willa den Feurigen Drachen geweckt, der in der Felsenkluft schläft.

          Hat ihn aufgeweckt, führt ihn den Weg ins Gebirge. Schnaubt also der schreckliche Feuerdrache daher, sprüht Feuer aus beiden Nüstern, bricht unterwegs Föhren und Fichten nieder, zu eng ist ihm Wald und Gebirge.

          Kleiner Jaglenac, Bübchen, warum fliehst du nicht? Ein Sprünglein nur über die Furche dort, so bist du gerettet, Freude der Mutter du!

          Aber Jaglenac denkt gar nicht daran, sich davonzumachen, bleibt dicht vor der Furche sitzen, und wie er die Flamme des Drachen sieht, die durch das nächtliche Dunkel aufsteigt, denkt Jaglenac nur: »Was glänzt denn im Gebirge so schön?«

          Feuer ist's, das herannaht und Jaglenac verbrennen wird. Aber er, das törichte Bübchen, macht ein liebes Gesicht und wundert sich: »Was glänzt denn dort so schön?«

          Die schwarze Wila hatte den Kleinen erblickt.

          »Dort ist das Kind, Feuerträger! Hol dein mächtigstes Feuer hervor!« sagte sie zum feuerspeienden Drachen.

          Auf dem Wege zur Höh' war der gewaltige Drache aber von Atem gekommen.

          »Warte, Schwester, bis ich zu Atem komme«, erwiderte er.

          Hierauf schöpfte er Atem zu zweien, zu dreien Malen.

          Schöpfte Atem, betrog sich. Denn wie er so gewaltig die Luft aus sich blies, fuhr ein Windstoß durchs Gebirge. Fährt der Wind daher, bläst auch den kleinen Jaglenac über die Furche hinweg bis an den heiligen See.

          Die schwarze Wila schreit auf, wirft sich zur Erde, hüllt sich in ihr Flügelpaar und weint wie das böse Jahr.

          Um so wütender schnaubt der Drache, sprüht Feuer um sich wie aus zehn glühenden Öfen. Doch über die Furche kann auch dieses Feuer nicht. Kommt das Feuer an die Furche, so Fährt's in die Luft empor, als schlüge es gegen marmorne Wände.

          Die Funken, die Flammen spritzen und sprühen, schlagen ins Kitaugebirge zurück; das halbe Gebirge verwüstet der Drache damit, den kleinen Jaglenac aber hat er verloren.

          Wie der Wind ihn hinüberwirft, lacht Jaglenac hellauf, weil er gar so lustig dahinfliegt. Erst lacht er einmal, dann lacht er zum andernmal.

 

10.

 

          Und mitten im See, vor dem Kirchlein, sitzt Rutvica. Abend ist's, aber wie hätte sie einschlafen können bei dem Lärm und der Unruhe im Gebirge, die den Frieden der heiligen Insel stört. Rutvica hat das Heulen und Klagen der schwarzen Wilen und das Brummen der Bärin Medunka vernommen. Hat den Drachen aus der Felsenschlucht schauben gehört und mit angesehen, wie er Feuer ringsum im Gebirge versprühte.

          Und jetzt sieht sie auch die flammende Lohe, die an die Wolken des Himmels leckt.

          Dann aber hört sie etwas: O du lieber Gott! Was mag Rutvica hören? — Ein Lachen war es, das wie ein silbernes Schellchen klang. Rutvicas Herz beginnt zu pochen.

          Und wieder lacht es, wieder dasselbe Stimmchen!

          Da kann Rutvica nicht anders. Sie ruft von der Insel her:

          »Wer lacht denn dort im Gebirge?« — Ganz sanft fragt es Rutvica, aber bange ist ihr, wer ihr antworten wird.

          »Wer ruft mich denn dort von der Insel?« antwortet Jaglenac.

          Jetzt erkennt Rutvica an den kindlichen Lauten ihr Brüderchen.

          »Jaglenac, mein einziges Brüderchen!« — ruft Rutvica und erhebt sich, eine weiße, kleine Gestalt, vom Mondlicht beschienen.

»Rutvica, Schwesterchen!« jauchzt der Kleine, und leicht wie ein Nachtfalterchen eilt er durch Ried und Rohr, durch Binsenschilf und Wasserrosen, zur Insel hinüber. Das gab ein Umhalsen und Küssen! Dann setzten sie sich im Mondlicht vor das Kirchlein. Ein wenig redeten sie miteinander, doch sie wußten sich nicht viel zu sagen, legten nur Händchen in Händchen, und so schliefen sie ein.

 

11.

 

          So lebten sie Tag um Tag auf der Insel im heiligen See. Jaglenac ist glücklich, er wünscht sich kein größeres Glück.

          Am See gibt es klare Wässerchen und süße Himbeeren. Auf den Wiesen rings um den See tagsüber Blumen und Sommervögel, nachtsüber Blumen und Tau. Im Gebüsch Turteltauben und Nachtigallen.

          Des Abends macht Rutvica für den Bruder ein Bettchen aus Laub zurecht, des Morgens badet sie ihn im See und bindet ihm seine kleinen Bundschuhe. Mehr braucht man nicht von der Welt, meint Jaglenac, als das, was die Furche umschließt.

          Wohl dir, kleiner Jaglenac, da du so jung bist! Auch Rutvica hat es gut — aber auf ihr liegt die Sorge, wie sie Jaglenac beschützen, wie ihn ernähren wird. — Denn Gott hat es so eingerichtet, daß der Jüngere nichts genießt, was der Altere nicht vorbedacht hätte.

          Das ist so auf der ganzen Welt und da mußte es auch am heiligen See so sein.

          Rutvica macht sich also Sorgen. Morgen ist Sankt—Peters—Tag. Werden die Himbeeren ausgehen nach Sankt—Peters—Tag? Werden Sonne und Wässerchen nicht erkalten, wenn es herbstet? Wie sollen wir in der Einöde überwintern? Wird unser Hüttchen im Tal nicht indessen verfallen?

          Solcherart sorgt sich Rutvica, und wo es Sorgen gibt, kommt am leichtesten eine Versuchung an.

»O du lieber Gott!« denkt sie eines Tages, »welch ein Glück, wenn wir zurück in unser Hüttchen könnten!« — Da hört sie einen Ruf aus dem Gebirge.

          Rutvica wendet sich um und sieht, daß jenseits der Furche am Wald eine der schwarzen Wilen steht; es ist die jüngste.

          Sie ist schöner als die anderen Schwestern und möchte sich gern schmücken. Hat Rutvicas goldenen Gürten bemerkt und wünscht sich diesen Gürtel, wünscht sich ihn mehr als alles in der Welt.

          »Mägdelein, Schwesterchen, wirf mir den Gürtel zu!« ruft die Wila über die Furche.

          »Kann nicht, Wila, ist Mutters Gürtel, hab' ihn von ihr«, antwortet Rutvica.

          »Mägdelein, Schwesterchen, ist nicht Mutters Gürtel. — Der Fürstin Gürtel ist's und die ist lange schon tot. Wirf mir den Gürtel zu!« beharrt die Wila, die sich der Fürstin erinnert.

          »Kann nicht«, wiederholt Rutvica, »habe den Gürtel aus Mutters Hand.«

          »Mägdelein, Schwesterchen, trage dich und den Bruder ins Tal, wird auch kein Leid geschehen, wirf mir den Gürtel zu!« lockt und fordert die WiIa.

          Das war eine arge Versuchung für Rutvica, die so sehnlichst wünschte, aus dem Gebirge herauszukommen! Dennoch hütet sie Mutters Erinnerungsgabe.

          »Kann nicht, Wila, habe den Gürtel von Mutter.«

          Traurig ging die Wila fort, aber am nächsten Tag kam sie wieder.

          »Wirf mir den Gürtel zu, ich trage euch aus dem Gebirge!«

          Wieder antwortet Rutvica: »Kann nicht, Wila, hab' ihn aus Mutters Händen.« — Aber es wurde ihr schwer und schwerer ums Herz. Sieben Tage erschien die Wila so, sieben Tage versuchte sie Rutvica. Arger als die ärgste Sorge ist solch eine Versuchung und die kleine Rutvica ist schon ganz bleich geworden, so groß ist ihr Wunsch, ins Tal hinunterzukommen. Dennoch gibt sie den Gürtel nicht.

          Sieben Tage rief die Wila sie an, sieben Tage erwiderte Rutvica:

          »Kann nicht, Wila, habe den Gürtel von Mutter.« Am siebenten Tage sah endlich die Wila ein, daß ihr nicht zu helfen sei. Da ging sie das Gebirge hinab, setzte sich auf den letzten Stein, löste ihr Haar und weinte, so groß war ihr Wunsch nach dem goldenen Gürtel der Fürstin.

 

12.

 

          Die edle und gütige Fürstin war indessen nicht tot, vielmehr lebte sie schon seit vielen Jahren mit ihrem Sohn in einem fernen Lande.

          Die Fürstin hatte niemand ihren hohen Stand kundgetan, und als sie flüchtete, war ihr Sohn noch zu klein gewesen, um sich an etwas erinnern zu können.

          So wußte niemand in jenem Lande, selbst der Fürstensohn nicht, daß er fürstlichen Geblütes sei. Und wie hätte man auch vermuten können, eine Fürstin vor sich zu haben, da sie weder Krone noch Goldgürtel hatte; und war sie auch gütig, sanft und edel, so mußte sie deshalb doch nicht eine Fürstin sein!

          Die Fürstin wohnte bei einem guten Hausvater und spann und webte für dessen Ingesinde. Damit ernährte sie ihr Söhnchen und sich.

          Das Söhnchen war zu einem hohen und schönen Jüngling herangewachsen, der an Kraft und Stärke seinesgleichen suchte, und die Fürstin hatte ihn zu allem Guten angehalten.

          Doch eines war von Ubel: der Fürstensohn war überaus jäh und grausam von Gemüt. Die Leute nannten ihn »Relja, den armen Recken«, weil er so stark und zornmütig war wie der Recke Relja — und so bettelarm dabei.

          Eines Tages hatte Relja des Hausvaters Wiese gemäht und sich gegen Mittag in den Schatten gelegt, um zu rasten. Ritt da irgendein Herrchen vorbei und rief Relja an:

          »Heda, Bursche, aufgestanden! Lauf die Straße zurück, such meinen Silbersporn! Unterwegs ist er mir entfallen.«

          Relja vernahm's, da entbrannte sein Blut, hochmütiges Fürstenblut, zu bösem Tun, wie jener sein Ruhen störte, ihn auf die Suche schickte nach dem verlorenen Silbersporn.

          »Will's, bei Gott!« schrie Relja, der amre Recke. »Und du lieg hier, raste an meiner Statt!«

          Sprach's und sprang auf das Herrchen los, riß es vom Pferde und schleuderte es in den Schatten, daß es für tot liegenblieb.

          Und Relja, der arme Recke, rannte in heller Wut zu seiner Mutter und schrie:

          »Mutter, Unselige, die mich als Bettelarmen geboren hat, damit man mich Sporen im Staube aufsuchen heißt!«

          Relja sah ganz entstellt im Gesicht aus vor Wut. Als die Mutter den Sohn so erblickte, wurde sie ungemein traurig. Nun mußte sie sagen, das sah sie ein, was sie bisher verschwiegen hatte, und damit war ihre Ruhe und die des Sohnes dahin.

          »Du bist nicht armer Leute Kind, mein Sohn«, sprach die Fürstin, »sondern ein unglücklicher Fürstensohn.« Und sie erzählte Relja alles, was sich mit ihr und ihm zugetragen hatte.

          Relja lauschte, in seinen Augen lohte ein Feuer auf, ingrimmig ballten sich seine Fäuste.

          »Mutter«, fragte er, »ist uns denn gar nichts von unserem Fürstentum übriggeblieben?«

          »Nichts bis auf ein Kreuzlein an rotem Bande und einen goldenen Gürtel«, antwortete diese.

          Als Relja dies hörte, rief er aus:

          »Ich gehe, Mutter, ich bringe uns Gürtel und Kreuz zurück, wo immer sie seien! Verdreifachen wird sich die fürstliche Kraft in mir bei ihrem Anblick. — Und wo«, fragte er weiter, »hast du Gürtel und Kreuzlein gelassen, Mutter? Hast du sie dem obersten Heerführer und seinem Heer zur Bewahrung vertraut?«

          »Nein, mein Sohn, und wohl uns, daß ich's nicht tat! Denn mein Heerführer und sein Heer gingen zum Feinde über, tafeln und trinken nun mit dem Feind und verschwenden mein Fürstentum«, antwortete die Fürstin.

          »So hast du sie in deiner festen Burg Untergründen verwahrt, hinter sieben Schlössern, im siebenten Kellergewölbe?«

          »Nein, mein Sohn, und wohl uns daß ich's nicht tat. Denn der Feind ist in meine feste Burg eingedrungen, hat ihre Untergründe erbrochen, zerstört, ihre neun Kellergewölbe durchsucht und seine Rosse mit Perlen aus meinen Schatzkammern gefüttert.«

          »Wo hast du also Gürtel und Kreuz gelassen?« drängte Relja. Dabei funkelten seine Augen.

          »Bei einer jungen Hirtin in einer Hütte aus Rohrgeflecht, wo es weder Schlösser noch Truhen gab. Geh, mein Sohn, vielleicht wirst du sie daselbst finden.«

          Relja glaubte nicht daran, daß Gürtel und Kreuz in einer Hütte aus Rohrgeflecht bewahrt worden wären, da doch selbst im neunten Kellergewölbe der festen Burg der Fürstin Perlenschatz nicht sicher gewesen.

          Doch immer heftiger entbrannte Reljas stolzes, gewalttätiges Fürstenblut zu bösem Tun und mit schallender Stimme rief er seiner Mutter zu:

          »Bleib mit Gott zurück, Mutter! Kreuz und Gürtel werd' ich irgendwo finden. Und ich bringe dir beide Kleinode, bei meinem Fürstenblut!«

          Nach diesen Worten ergriff Fürstensohn Relja den scharfen Teil einer Sense, schmiedete einen schweren Griff herum und stürmte hinaus in die Welt, sein Ahnenerbe zu suchen.

          Unter seinem Tritt klang die Erde, im Winde wehte des Eilenden Haar und wie in Feuer getaucht erglänzte die todverkündende Klinge im Sonnenlicht.

 

13.

 

          So, ohne Unterlaß, schreitet Relja dahin. Tagsüber wandert er, nachts ruht er nicht. Groß und klein geht ihm aus dem Wege.

          Weit ist's bis zum Kitaugebirge, aber leicht erfährt Relja den Weg, denn seiner Schrecknisse halber ist das Kitaugebirge bis ins siebente Reich bekannt.

          Am Johannistag ist Relja von seiner Mutter geschieden, am Peterstag erreicht er den Fuß des Gebirges.

          Dort fragt er nach dem Hüttchen aus Rohrgeflecht, nach der Hirtin Milojka, dem goldenen Gürtel, dem Kreuzlein.

          »Hier im Tal steht das Hüttchen; Milojka begruben wir am Sonntag nach dem letzten Neumond; Gürtel und Kreuzlein tragen die Kinder an sich. Wilen verlockten die Kinder ins Kitaugebirge«, berichteten die Leute.

          Heißer Grimm wallte in Relja auf, als er hörte, Gürtel und Kreuzlein seien ins Kitaugebirge entführt. Vor Grimm weiß er nicht, soll er zuerst ins Gebirge, hat er zuerst die feste Burg zu erkunden, nach der ihn sein höchstes Verlangen zieht.

          »Wo liegt die feste Burg der edlen Fürstin?« begehrt er zu wissen.

          »Dort, eine Tagreise von hier.«

          »Und was geht in der Burg vor?« Relja läßt seine Klinge tanzen. »Sagt alles, was ihr wißt!«

          »Von uns war keiner dort. Harten Herzens sind ihre Herren. Haben grimme Schakale und stumme Wächter rings um die Burg aufgestellt. Wir können weder an den Schakalen vorbei noch die Wächter durch Bitten erweichen«, erzählen die Leute. »In der Burg aber hausen geschmückte Herren, trinken roten Wein in der Halle, schlagen silberne Tamburzithern, werfen sich goldene Äpfel zu über Teppiche, die mit Seide bestickt sind. Und in den Gängen mühen sich zweihundert Werkleute ab, schneiden Herzen aus Perlmutter aus, stellen prächtige Zielscheiben her. Feiern die Herren ein großes Fest, dann laden sie ihre Flinten mit Demantsteinen, die Herzen aus Perlmutter damit zu treffen.«

          Das erzählen die Leute, und Relja dunkelt es vor den Augen vor Zorn, daß seiner Mutter Schätze also verschleudert werden.

          Relja steht, sinnt ein wenig, dann ruft er:

          »Erst ins Gebirge, um Kreuz und Gürtel zu holen, dann aber zu dir, meine feste Burg!«

          Er schwingt seine Klinge ums Haupt und stürmt ins Kitaugebirge. Dort aber schläft in der Felsenschlucht der gewaltige Drache. So viel Feuer hatte er gegen Jaglenac aus sich versprüht, daß er tüchtig müde geworden und in schweren Schlaf gesunken war, um neue Kräfte zu sammeln.

          Relja aber, dem zu seinem Leid unterwegs groß und klein ausgewichen war, konnte es kaum erwarten, Grimm und Kraft in einem Streit zu erproben. Darum stürzt er jetzt auf den Feurigen Drachen los. Wird er ihn zu einem Zweikampf erwecken können?

          Ein starker Recke ist Relja, gewaltig der Drache, darum singt ein Lied von ihrem furchtbaren Ringen, da Relja kam und sich auf den Drachen stürzte:

 

                    Rührt des Drachen Flanken mit der Klinge,

                    Trachtet so das Untier zu emecken.

                    Aber als des Drachen Haupt emporfuhr,

                    Als es Relja über sich erblickte,

                    Schnellt der Drache auf, die Felswand stürzt er,

                    Uralt enge Kluft dadurch erweiternd,

                    Freies Kampffeld ihnen vorbereitend.

                    In die Wolken hebt sich jetzt der Drache,

                    Aus den Wolken stürzt er sich auf Relja,

                    Um mit ihm den Zweikampf auszukämpfen.

                    Dröhnt die Erde, splittern Felsenwände:

                    Scharf mit Zahn und Feuer kämpft der Drache,

                    Läßt sein feurig Haupt herniedersausen —

                    Relja schwingt die Klinge ihm entgegen,

                    Und entgegen ihm die Klinge schwingend,

                    Teilt die Flamme er mit seiner Klinge,

                    Ob die Klinge nicht den Ort erspähe,

                    Wo des Drachen Haupt sich treffen ließe.

                    So im Ringen sich und Gegenringen

                    Fassen sie und können sich nicht lassen,

                    Kämpfen so den Sommertag bis Mittag.

                    Doch gesunken sind des Drachen Kräfte

                    Ob das Kind Jaglenac ihm entkommen.

                    Rljas Reckenkraft erstarkt dagegen,

                    Rümpft er doch den Kampf ums Ahnenerbe.

                    Hebt die Sonne sich zur Mittagshöhe,

                    Schwingt die Klinge er der Sonn ' entgegen,

                    Schwingt die Klinge, Gott zu Hilfe ruft er!

                    Trifft den Drachen zwischen beide Augen.

                    Leichte Klinge, leicht der Schlag der Klinge,

                    Spaltet doch entzwei das Haupt des Drachen.

                    Tot in seine Felskluft stürzt der Drache,

                    Ilie den Leib er ausstreckt, ungeheuer,

                    Ist die alte Kluft damit verschlossen.

 

          So überwand Relja, der Recke, den Feurigen Drachen. Aber Heldenarme und Heldenschultern taten ihm weh. — Darum sagte sich Relja:

          »Wenn das so weitergeht, komme ich nie durchs Gebirge. Was tun? Das gilt es jetzt zu überlegen.« Relja kehrte also an den Fuß des Gebirges zurück, setzte sich auf einen Stein, und er, der Held, begann zu überlegen, wie er durchs Gebirge kämme, wie die Schrecknisse überwände, wo Milojkas Kinder zu finden wären und an ihnen der goldene Gürtel, das goldene Kreuzlein. Wie Relja so dasitzt, in schweres Sinnen versunken, was hört er da nahebei mit. — Sitzt eine einemmale? — Wehklagen und Weinen. Relja sieht sich um. Was erblickt er; Wila da auf einem Stein, hat das Haar gelöst, wehklagt und weint.

          »Was fehlt dir, schöne Maid, warum weinst du?« fragte Relja.

          »Ich weine, fremder Held, weil ich den goldenen Gürtel von jenem Kinde im See nicht erlangen kann«, antwortete die Wila. Als Relja dies hörte, wurde er über die Maßen froh.

          »Sage mir, Mädchen, den Weg an zu jenem See.«

          »Wer aber bist du, landfremder Recke?« fragte die Wila dagegen.

          »Bin Relja, der Fürstensohn, suche den goldenen Gürtel und das Kreuzlein an rotem Band«, erwiderte Relja.

          »Zum guten Glücke mir!« — dachte die Wila in ihrem argen Herzen. »Mag Relja nur aus dem Gebirgssee den Gürtel holen; ihn dann umzubringen soll mir ein leichtes sein.«

          Süße Worte spricht also die Wila zum Recken.

          »Laß uns gehen, Fürstensohn, ich führe dich durchs Gebirge, nichts wird dir dabei widerfahren, und ich zeige dir, wo die Kinder sind. Warum sollst du das, was dein ist von alters her, nicht wiedererhalten!«

          So süße Worte spricht die Wila, doch im Herzen denkt sie anders. Relja aber willigt mit Freuden ein.

          So führt die Wila ihn denn durchs Gebirge. Weder Wilen noch Ungeheuer wagen sich an ihn heran, da die junge Schwester vom Schwur ihm das Geleite gibt.

          »Staunen wirst du, wie trotzig die Kinder sind, Fürstensohn«, sagt während des Weges die Wila und facht den Grimm in Reljas Herzen an. »Auch dir werden sie den Gürtel nicht geben wollen. Du aber, du Held über alle Helden, wirst dir nicht Schmach antun lassen.«

          Relja lacht. Kinder, die ihm widerstünden! Ihm, der den Feurigen Drachen erschlagen hat!

          Doch die Wila erzählt ihm, wie die Kinder in das Gebirge gelangt sind und es nicht wieder verlassen können.

          Froh und freudig, daß sie den Gürtel erlangen wird, läßt sie alle Klugheit außer acht und rühmt sich ihres Wissens vor Relja.

          »Die törichten Kinder verstehen sich nicht auf Weistümer und Zauberlist! Wüßten sie, was wir wissen, so entkämen sie uns! Das Kirchlein birgt ein Weihrauchkesselchen und eine Kerze.

          Schlügen sie Feuer, das noch nie brannte, zündeten Kerze und Weihrauch an, sie kämen mit Kerze und Weihrauch durch das Gebirge, als wär's eine Kirche. Pfade täten sich auf vor ihnen, der Bäume Kronen beugten sich ihnen. Uns aber erginge es übel, denn wir Wilen gingen zugrunde, wir und alle Ungetüme des Kitaugebirges, wo immer der Rauch aus Weihrauchkessel und Kerze hindränge. Doch solch törichte, trotzige Kinder, was wissen die!«

          Wäre die schwarze Wila nicht so freudig und froh, sicher hätte sie Relja von Kerze und Weihrauchkesselchen nichts verraten, vielmehr die Geheimnisse ihrer schwarzen Schwestern gewahrt.

          So kamen sie zu der Furche und sahen den heiligen See vor sich.

 

14.

 

          Von einem Baumstamm verdeckt, erblickt Relja die Kinder, die ihm die Wila zeigt. Sieht das Kirchlein auf der kleinen Insel. Vor dem Kirchlein sitzt ein Mägdelein, weiß wie ein weißes Röschen. Sie singt nicht, sie trällert nicht, hat die Augen zum Himmel erhoben, hält die Händchen gefaltet im Schoß.

          Im Sande neben dem Kirchlein spielt ein zartes Bübchen, der kleine Jaglenac; das Kind trägt ein goldenes Kreuzlein an seinem Halse.

          In sein Spiel mit dem Sande vertieft, baut es Burgen auf, reißt Burgen nieder; mit der kleinen Hand hat es einen Turm aufgerichtet, lacht und freut sich seines Werkes.

          Fürstensohn Relja schaut und versinkt in Sinnen. Aber die schwarze Wila hat keine Zeit, zu warten, bis er etwas ersonnen hat.

          »Ich will das Mägdlein anrufen, Fürstensohn«, flüsterte sie Relja zu, »gibt es den Gürtel nicht, dann fasse du deine wohlbeschlagene Klinge, eile hin, nimm, was dein ist, und kehre, von mir geführt, durchs Gebirge zurück, damit dir meine Schwestern nicht schaden.«

          So spricht die Wila und freut sich ihrer List. Hat Relja nur einmal den Gürtel vom See gebracht, so fällt es ihr leicht, ihn zu töten. Doch Relja hört und hört nicht, was ihm die Wila sagt, so sehr ist er in des Mägdleins Anblick versunken.

          »Mägdelein, Schwesterchen«, ruft die Wila, »wirf mir den Gürtel zu und ich trage dich und den Bruder aus dem Gebirge.«

          Rutvica hört es, bleicher noch wird ihr Gesicht, fester noch faltet sie die kleinen Hände. Kaum vermag sie zu sprechen, so schwer ist ihr ums Herz! Der Wunsch ins Tal zu gelangen, droht es zu zersprengen. Dennoch gibt sie Mutters Gürtel nicht her.

          Tränen entstürzten des Mägdleins Augen, leise weinte sie, redete so durch Tränen:

          »Kehre nicht wieder WIIa, den Gürtel bekommst du nicht.«

          Als Relja dies hörte und sah, entbrannte das edle Blut, das Fürstenblut, in ihm zu gutem Tun. Erbarmen fühlt er mit den beiden Waisen, die sich unter den Schrecken des Kitaugebir ges selbst zu behüten hatten vor Unholden und Lockungen, vor Tod und Untergang.

          Du lieber Gott, gerüsteten Heeren, befestigten Städten war von der Fürstin der Schutz ihres Fürstentums anvertraut. Und das Fürstentum ging verloren. Hier aber sind Kinder, allein in der Welt geblieben, unter Wilen und Drachen geraten, und weder Wilen noch Drachen vermögen zu rauben, was ihnen die Mutter gab. — Ganz verwandelt ist Reljas Gesicht. Verwandelt vor Erbarmen kehrt er sich der Wila zu.

          Hebt Relja die Klinge, die trotzigen Kinder zu töten, wie die Wila zu sehen hofft? — Nein, gegen die Wila schwingt er die Klinge, der Wila droht er:

          »Fliehe, Wila, flieh! O wärest du nicht und nie! Hättest du mich nicht durchs Gebirge geführt, dein rothaarig Haupt rollte dir vor die Füße. — Bin nicht darum als Fürst auf die Welt gekommen, noch hab' ich mir darum die Klinge zurechtgeschmiedet, um Waisen damit zu berauben!«

          Erschreckt weicht die elende Wila zurück und flieht ins Gebirge.

          »Hole schwarze Wilen, rufe Ungeheuer herbei, keine Furcht kennt der Fürstensohn!« ruft Relja ihr nach.

          Dann überschreitet der Held die Furche und geht auf die Insel zu. Wie freut sich Rutvica, einen Menschen zu sehen, der sich freundlichen Blickes nähert! Sie springt empor, streckt die Arme aus, wie ein Vögelchen seine Flügel breitet, das gefangen war und das du der Hand entläßt.

          Kann Rutvica anders denken, als daß Relja kommt, um sie aus dem Gebirge zu retten? Sie eilt zu Jaglenac hin, nimmt ihn bei der Hand und beide gehen Relja auf dem Brückchen entgegen, das ihre kleinen Händchen im Schilf geflochten haben.

 

15.

 

          Relja ist ein gewaltiger Held. Wunderlich scheint es ihm, Zwiesprach' mit Kindern zu halten. Kindern aber scheint es nicht wunderlich, mit Helden zu reden. Ist doch ihr Herz allem offen und zugeneigt.

          Jaglenac faßt Relja, den Recken, gleich bei der Hand und beschaut den umschmiedeten Griff seiner Klinge. Zweimal länger ist die Klinge als das Knäblein Jaglenac. Hebt Jaglenac das Händchen, streckt sich ganz in die Höhe, doch kaum reicht das Händchen bis an der Klinge Griff. Nie noch hat Relja eine so kleine Hand neben der seinen erschaut.

          Relja wird verlegen, vergessen hat er auf Gürtel und Kreuz: »Was rede ich«, denkt er, »mit diesen unmündigen Waislein? Klein sind sie, töricht sind sie, wissen von nichts.«

          Da fragt ihn Rutvica:

          »Aber wie kommen wir aus dem Gebirge, Herr?«

          »Eh, klug ist die Kleine«, sagt Relja zu sich, »da steh' ich und es Fällt mir nicht ein, daß wir aus dem Gebirge müssen.« — Dabei kommt ihm zu Sinn, was die schwarze Wila ihm von Weihrauchkesselchen und Kerze erzählt hat.

          »Hör, Mägdelein«, sagt er, »die schwarze Wila ist fort. Sie wird ihre Schwestern zu Hilfe rufen. Ich gehe ihnen entgegen. Hilft Gott und besiege ich sie, so komme ich und führe euch aus dem Gebirge. Besiegen mich aber die Wilen, dann schlagt ein Feuer an, das noch niemals brannte, nehmt Kerze und Weihrauchkesselchen, die in dem Kirchlein sind, entzündet sie und ihr werdet damit durchs Gebirge kommen, als wär's eine Kirche.«

          Als Rutvica solches hörte, ward sie sehr traurig.

          »Tu das nicht, Herr«, sprach sie, »kommst du im Gebirge um, was soll aus uns armen Waislein werden? Kaum bist du zu uns gelangt, um uns zu schützen, und sollen wir wieder verlassen sein in der Welt? Laß uns lieber gleich Feuer schlagen, Kerze und Weihrauch anzünden und du, Herr, geh mit uns durch das Gebirge.«

          Da zürnte der Fürstensohn:

          »Was redest du, törichtes Mägdlein! Hat mich die Mutter zum Helden geboren, auf daß Kerze und Weihrauch mich leiten, wo ich meine wohlbeschlagene Klinge habe!«

          »Nicht Kerze und Weihrauch sind's, die dich leiten, sondern Gottes Gebot und Wille«, antwortete Rutvica.

          »Rosten würde die Klinge mir, törichtes Mägdlein, leiteten Kerze und Weihrauch mich.«

          »Mähen wirst du Felder und Wiesen damit, so wird deine Klinge nicht rosten.«

          Relja gerät in Verwirrung. Nicht so sehr vor des Mägdleins Worten als vor ihrem liebholden Blick. Weiß er doch selbst, daß es schwer ist, Wilen und Ungeheuer zu überwinden, weiß er doch, daß er wohl umkommen wird, geht er zum Kampf zurück ins Gebirge.

          Auch Jaglenac hat Reljas Knie umfaßt und schaut trauten Blickes zu ihm empor. Und in Relja regt sich das adlige Fürstenherz, schlägt so laut, daß er auf Kreuz und Gürtel, auf Zweikampf und Burg vergißt und nur einen Gedanken hat: Hier diese treuen Waisen gilt es zu hüten und zu beschützen.

          Und darum spricht er:

          »Nicht aus Ubermut will ich mein Leben verlieren. Auf, Kinder, schlagt Feuer an, entzündet Kerze und Weihrauch — mögen euere kleinen Hände mich leiten.«

 

16.

 

          Noch eine kleine Zeit, und das Kitaugebirge wird ein wunderlich Wunder erleben.

          Ein breiter Pfad hat sich aufgetan durchs Gebirge; Gras, wie Seide so weich, liegt darauf. Rechter Hand geht das Kind Jaglenac, hat ein weißes Hemdchen an, hält ein uraltes Wachslicht — leise brennt es und knistert leise, als hielte es Zwiesprach mit der in seinem Händchen Sonne. Zur linken Seite geht Rutvica, mit dem goldenen Gürtel umgürtet, in ihrer Hand wiegt sich ein silbernes Weihrauchkesselchen. Daraus windet sich weißer Rauch. Zwischen den Kindern schreitet der Recke Relja. Seltsam scheint es ihm, dem gewaltigen Helden, daß Kerze und Weihrauch ihn leiten, nicht aber die Klinge mit wohlbeschlagenem Griff. Doch lächelt er liebreich die Kinder an. Hat die schwere Klinge gegen die Schulter gelehnt und also redet er zu seiner Klinge:

          »Fürchte nichts, Gefährtin mir, du treue. Werden Felder, werden Wiesen mähen, Wälder werden wir und Buschwerk roden, Balken glätten, Bretterzäune zimmern, hundertmal vergoldet dich die Sonne, eh du aufgenährt zwei kleine Waisen.«

          So kommen die drei durchs Gebirge, als wär's eine Kirche. Aus der Kerze breitet dünner Rauch sich, aus dem Weihrauchfaß ein heilig Duften.

          Aber oh! Wie geht es den Schwestern vom Schwur und dem Kitaugebirge? Wo immer sich Rauch und Duft im Gebirge verbreiten, dort sterben die schwarzen Wilen dahin, kommen um.

          Kommen um, wie es jeder am besten und schönsten gelingt.

          Wandelt die eine sich in einen grauen Stein und wirft sich über die Wand in den Abgrund, wo der Stein in hundert Stücke zerspringt.

          Geht die andre auf in hellroten Flammenschein, der gleich in der Luft verlischt.

          Zerfällt die dritte in feinen vielfarbigen Staub und verstreut sich über Farnkraut und Gestein. Und so wählte sich jede die Art, wie sie am schönsten und besten zu sterben vermeinte.

          Doch im Grund war es einerlei: ob so oder so, verschwinden mußten sie aus dieser Welt, und das ist es, was ihnen auch der schönste Tod nicht zu ersetzen vermochte!

          Es kamen also um und erstarben alle sieben Schwestern vom Schwur und so gibt es nun weder im Kitaugebirge noch anderwärts in der Welt WiIen und Drachen mehr oder derlei Unholde.

          Relja aber und die Kinderchen gelangten glücklich ins Tal und Rutvica führte sie zu ihrer Hütte. Nun erst fiel es Relja bei, warum er ins Kitaugebirge gezogen war.

 

17.

 

          Sie traten also in die Hütte und ruhten ein wenig aus. Rutvica, die um Mutters armseliges Vorratsplätzchen wußte, holte ein wenig getrockneten Käse herbei und sie aßen davon. Doch nun wußte Relja erst recht nicht, wie er sich gegen diese zwei Waisen gehaben sollte.

          Unaufhörlich dachte er wieder an seine feste Burg und das Versprechen, das er der Fürstin gegeben hatte.

          »Höre, Mägdelein«, sagte er endlich, »du und dein Bruder müßt mir jetzt den goldenen Gürtel und das Kreuzlein geben, weil beides mein ist.«

          »Aber auch wir sind ja dein, Herr«, erwiderte Rutvica und sah zu Relja auf, verwundert darüber, daß er das nicht wisse.

          Da lachte Relja.

          »Aber ich muß Gürtel und Kreuz meiner Mutter bringen!«

          »Hast du eine Mutter, Herr«, rief Rutvica freudig, »so geh und führe sie uns zu. Denn wir haben keine mehr.«

          Selbst ein Stein müßte Erbarmen fühlen beim Anblick so schöner Kindlein, die, allein in der Welt geblieben, Relja, den Fürstensohn, um eine Mutter bitten.

          Relja, dem Recken, kamen beinahe die Tränen. Er nahm von den Kindern Abschied und zog von dannen, um mit einer Mutter zu ihnen zurückzukehren.

 

18.

 

          Als Relja nach sieben Tagereisen bei seiner Mutter eintraf, stand diese am Fenster und sah: Da kommt Relja zurück. Wo hat er seine Klinge? Wo Gürtel und Kreuz? — Er läßt die Mutter auch keine Frage tun. »Rüste dich, liebe Mutter mein«, ruft er ihr liebreich entgegen, »laß uns gehn, um zu behüten, was unser ist!«

          Und so machten sie sich auf den Weg. Unterwegs aber fragte die Fürstin: »Hast du Gürtel und Kreuzlein gefunden, ein Heer geworben? Hast du die feste Burg eingenommen und das Fürstentum?«

          »Wohl gefunden hab' ich Gürtel und Kreuz, aber kein Heer geworben und nicht eingenommen das Fürstentum. Besser so, ohne Heer, denn sehen sollst du, was uns in unserem Fürstentume geblieben ist.«

          Und wieder nach sieben Tagen gelangten sie zu jenem Hüttchen, wo Rutvica und Jaglenac ihrer harrten. Wie groß, o du lieber Gott, war ihre Freude, als gute Herzen sich zueinander fanden! Die Fürstin umarmt Rutvica und Jaglenac. Küßt ihre Wangen und Äugelchen, ihre Händlein und Mündlein. Kann sich nicht trennen von ihnen, so lieb sind ihr die beiden Waisenkinder aus ihrem verlorenen Fürstentum!

 

19.

 

          So begannen sie nun in jenem Tälchen zu leben. Wohl war die kleine Hütte für sie allzu eng. Aber Reljas starke Arme bauten ihnen ein Häuschen aus Steinen auf. Friedlich und fröhlich lebten sie so dahin. Jaglenac weidete Schafe und Lämmlein. Rutvica bestellte Gärtchen und Haus, die Fürstin spann und nähte Hemden, Relja arbeitete in Wiese und Feld.

          Die Dorfbewohner erkannten der Fürstin Weisheit und Reljas Stärke an, und als sie bemerkten, wie gut der Fürstin der goldene Gürtel paßte, da sagten die Leute, die sie nie zuvor gesehen hatten:

          »Das muß unsere edle Fürstin sein.«

          Daher schenkten sie Relja und der Fürstin einen großen Streifen Landes im Tal und baten Relja, in allem ihr Führer zu sein; und die Fürstin baten die Leute, sie zu beraten.

          Und Gott segnete Reljas Kraft und der Fürstin Weisheit. Ihre Wiesen und Felder vergrößerten sich, auch andere Dörfer schlossen sich ihnen an und überall wuchsen schmucke Häuschen und Gärten empor.

 

*

 

          In der festen Burg zechten und tafelten indes kostbar gekleidete Herren, feierten Fest um Fest. Doch dies währte nun schon allzu viele Jahre, und waren die Kellergewölbe und Schatzkammern der festen Burg auch die reichsten in sieben Reichen, so begann es doch allgemach an Demantsteinen zu fehlen.

          Erst schwanden die Demantsteine aus den Kellergewölden, dann Perlen und Perlmutter aus den Gängen. Nicht lange, da mangelte es den träge gewordenen Dienern an Brot. Dann ging das Fleisch für die Schakale und Wachen aus. Gleich empörten die ungetreuen Knechte sich, zerstreuten sich die Schakale, verließen die Wachen ihre Plätze.

          Doch all das schreckte die Herren noch nicht, denn Wein und Zechgelage hatten ihren Verstand verwirrt. Aber da kam ein Tag, wo der Wein alle ward. Jetzt beschlossen die Herren, eine Ratsversammlung zu halten. Sie kamen im größten Saale zusammen und hielten Rat, woher Wein zu beschaffen sei, denn um die Burg war alles wüst, alle Menschen waren fortgezogen und die Weinreben verwildert.

          So hielten die Herren denn Rat. Doch aufrührerische und boshafte Knechte hatten die Balken ober dem Saale durchsägt, und als die Herren im besten Zuge waren, brach die Decke über ihnen ein und jener mächtige, schwere Burgturm begrub sie alle.

          Als die Knechte hörten, daß der Turm einstürzte und durchbrach, flohen sie aus der Burg.

          Und so blieb die Burg ohne Schakale und ohne Knechte und ohne festlich geschmückte Herren — zerfallen, öde und tot.

          Bald ging die Kunde hievon durchs ganze Fürstentum, doch da war niemand, der hingehen und nachsehen mochte, was sich in der toten Burg ereignet hatte. Vielmehr strömten die Leute von allen Seiten herbei, zogen an den Fuß des Kitaugebirges und baten Relja, er möge ihr Fürst sein, denn sie hatten von seiner Kraft und seinem Heldentum und von der Weisheit der edlen Fürstin vernommen. Auch versprachen sie, ihnen mit eigenen Händen ein lichtes Fürstenschloß zu erbauen.

          Relja nahm des Volkes Erbieten an, denn er dachte zu Recht, Gott habe ihm so viel Kraft und Heldentum verliehen und ihn darum von Härte und Gewaltsinn befreit, damit er sein Fürstentum wohl zu betreuen vermöge.

          So wurde Relja Fürst, und die Fürstin, die nun schon bei Jahren war, erlebte in ihrem Alter noch große Freuden. Und als sie und ihr Sohn mit Rutvica und Jaglenac in das neue, weiße Schloß Einzug hielten, gab es eine herrliche Feier. Landkinder streuten Basilienkraut und Immortellen vor ihre Tritte und Männer und Weiber drängten sich an die Fürstin und küßten ihres Gewandes Saum.

          Da erinnerte sich die Fürstin, vor Freude strahlend, daß ohne Rutvicas und Jaglenac' Treue all das nicht so gekommen wäre; sie zog Rutvica und Jaglenac an ihr Herz und sprach:

          »Wohl dem Fürstentum, dessen Schätze nicht mächtige Heere noch feste Burgen schirmen, sondern Mütter und Kinderchen in der Hirtenhütte. Solch ein Fürstentum kann nicht untergehen.«

          Fürst Relja vermählte sich später mit Rutvica — und nie hat es auf der Welt eine schönere und holdere kleine Fürstin gegeben als die kleine Fürstin Rutvica.

          Jaglenac reifte zu einem schönen und gewandten Jüngling heran, ritt einen feurigen Schecken, und oft genug kam er auf seinem Schecken bis zur Höhe des Kitaugebirges, wo Werkleute auf der Insel im heiligen See ein neues Kirchlein erbauten.